Willenlos
der Wetterbericht herüber. Kurz darauf verkündete eine aufdringlich gut gelaunte Stimme den Beginn eines herrlichen Frühsommertages.
Mit geschlossenen Augen tastete Joshua nach dem Radiowecker. Er vernahm Kratzgeräusche an der Schlafzimmertür, massierte die Schläfen. Eine Schweißperle kitzelte seine Brust. Joshua zog Shirt und Kurztight an und trat auf den schmalen Flur. Jagger rannte die Treppe hinunter und führte vor der Haustür einen Freudentanz auf.
Die ersten Sonnenstrahlen flogen über die Felder, spiegelten sich im feuchten Morgentau der Gräser und Blumen. Jagger rannte in einem Wahnsinnstempo über eine Wiese, er hatte noch nicht mitbekommen, dass der Hase mit einem Haken die Richtung geändert hatte. Joshua dachte an ihren Fall. Was wäre, wenn auch sie auf der falschen Spur wären? Wenn der wahre Täter im Schatten Bartrams bereits den nächsten Mord planen würde? Unmöglich, redete er sich ein, während seine Füße in gleichmäßigem Takt auf den feuchten Asphalt klatschten. Die Vernehmungs- und Gerichtsprotokolle hatten das Motiv erhärtet. Tatsächlich gab es Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, Leon Bartram könne recht haben, war wirklich unschuldig verurteilt worden. Es war nicht mehr als eine Vermutung, Joshua wollte sich nicht anmaßen, die Arbeit von zig versierten Juristen, Polizisten und Gutachtern nach kurzem Studium der Akten anzuzweifeln. Aber die Bedenken schienen wie kleine Gewichte überall an seinem Körper zu hängen. Er nahm sich vor, als Erstes mit Bornmeier zu reden.
Unterwegs zum LKA erreichte ihn der Anruf von Toni Opitz, einem Kollegen der Kriminaltechnik. Die Ergebnisse der Untersuchungen lagen vor, Opitz sprach von einer Auffälligkeit. Joshua ging direkt zur KT durch.
Opitz bot Joshua einen Drehstuhl an, blickte auf zwei große Monitore vor sich, während der Kriminaltechniker Computerausdrucke sortierte. Toni Opitz war vor drei Monaten aus privaten Gründen vom LKA Trier nach Düsseldorf gewechselt. Joshua wusste darüber nur, dass der Kollege eine schmutzige Scheidung hinter sich hatte. Opitz verfügte über einen seltenen beruflichen Werdegang. Bevor er sich durch zahlreiche Lehrgänge und Umschulungen zum Kriminaltechniker hatte ausbilden lassen, war er als Oberkommissar im dortigen KK 11 tätig.
Mit der hohen Stirn und den schulterlangen, schwarzen Haaren war er rein modisch irgendwo auf dem Weg ins 21. Jahrhundert stehen geblieben. Opitz überflog die Blätter hastig und legte sie danach beiseite.
»Auch ein interessanter Fall«, er deutete auf die Blätter, »aber kommen wir zu Herrn Bartram und dessen höchst ergiebiger Wohnung. Das heißt, eigentlich haben wir so gut wie gar nichts, aber genau das macht die Sache in diesem Fall so interessant.«
Joshua verdrehte die Augen. Für eine Sekunde senkte Opitz beleidigt die Lippen.
»Schon gut. Also da wäre zunächst einmal die Medikamentenpackung. Wenn ich mich recht entsinne, haben die Kollegen diese Schachtel hinter einer Sichtblende auf dem Schlafzimmerschrank entdeckt.«
Joshua nickte stumm.
»Auf dieser Packung gibt es nicht einen Fingerabdruck. Zwei verwischte Spuren an den Seiten, sonst nichts.«
Joshua hob die Augenbrauen. Das war in der Tat merkwürdig. Warum sollte Bartram die Packung in seiner Wohnung verstecken und dafür Handschuhe tragen?
»In der gesamten Wohnung gab es überhaupt nur Fingerabdrücke von zwei Personen. Eine davon ist Frau Hubert, die Vermieterin, wir haben das abgeglichen. Die anderen stammen von Bartram selbst. Dafür habe ich aber ein wunderschönes Exemplar außen am Türknauf sichern können.«
»Dieser Abdruck stammt vermutlich nicht von den genannten Personen?«, fragte Joshua mit gelangweiltem Unterton.
»Richtig. Ich habe mich gefragt, warum dieser Abdruck nur an dieser Stelle vorhanden war. Ich meine, wenn du klingelst und dir öffnet jemand die Tür, fasst du doch gewöhnlich nicht den Türknauf an, oder?«
»Das stimmt.«
Opitz hatte jetzt Joshuas Interesse geweckt.
»Ich habe also in der Datenbank nach diesem Abdruck gesucht und«, Opitz machte eine kurze Pause und streckte Joshua den erhobenen Daumen entgegen, »Bingo. Dieser Abdruck ist vor etwa 15 Jahren schon einmal aufgetaucht und zwar im Mordfall Bartram. Kollegen haben ihn damals am Tatort, sprich im Badezimmer der Familie, gesichert. Er stammt von einem gewissen Edgar Sandmann, sagt die Datenbank.«
»Was?«
Toni Opitz lehnte sich zurück. Er schien die Situation in
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