Willenlos
Badewannenrand. Reste eines Badezusatzes an den Ärmeln seines Oberhemdes. Bartram hatte nach eigenen Angaben versucht, seine Frau wieder zu beleben. Dies alles wäre mir persönlich zu dürftig. Zumal in ihrem Magen Reste eines starken Narkotikums gefunden wurden. Laut den Ermittlungsberichten deutete allerdings nichts auf einen Suizid.«
›Beweise, Trempe, bringen Sie mir Beweise!‹
Joshua dachte an Bornmeiers Standardspruch. Offensichtlich waren nicht alle Staatsanwälte derart beflissen in ihrer Vorgehensweise.
»Da ist noch etwas«, Joshua fiel ein Vernehmungsprotokoll ein, »wer hat die Polizei verständigt? Bartram jedenfalls behauptet, es nicht gewesen zu sein. Er stand unter Schock, nachdem er den Tod seiner Frau festgestellt hatte. Am Telefon im Wohnzimmer befanden sich laut Bericht der KT nur verwischte, nicht deutbare Fingerabdrücke.«
»Hm, möglicherweise wusste er es nicht mehr, hatte nasse Finger …«
»Auch die hinterlassen Spuren«, fiel Joshua ihm ins Wort. Bornmeier nickte verlegen.
»Der gesamte Fall wurde alles andere als wasserdicht ermittelt. Ich wundere mich, dass das Gericht zu einem eindeutigen Urteil kommen konnte.«
Bornmeier rieb nachdenklich das Kinn.
»Dahlmanns Aussage war wohl das berühmte Zünglein an der Waage.«
Joshua sah ihn verwundert an.
»Dahlmann war während der Hauptverhandlung nur zu ermittlungstechnischen Dingen befragt worden. Zum Beispiel hatte er ausgesagt, am gesamten Gebäude keinerlei Einbruchspuren festgestellt zu haben.«
»Das wissen Sie nicht? Lesen Sie die gesamten Akten, Trempe«, antwortete Bornmeier mit belehrender Betonung. Joshua seufzte vernehmlich. Der Prozess hatte sich trotz der vermeintlichen Eindeutigkeit über 18 Verhandlungstage gezogen. Niemand von ihnen hatte bisher Zeit, die Protokolle jedes Einzelnen davon durchzulesen.
»Dahlmann hatte in der ersten Verhandlung eidesstattlich erklärt«, fuhr Bornmeier fort, »Bartram habe bei seinem Eintreffen mehrmals ausgesagt, er habe seine Frau nicht töten wollen. Dies wäre als Geständnis zu bewerten gewesen. Sein Verteidiger hatte den Schockzustand seines Mandanten angeführt und darauf bestanden, diese Aussage aus dem Protokoll zu entfernen. Richter Florenz List wertete sie nicht als Indiz, beließ die Aussage aber im Protokoll. Wie gesagt, für die Schöffen möglicherweise das Zünglein an der Waage.«
Das Verhör vom Vortag, Bartrams Aussage über die Verhandlung kam Joshua in den Sinn.
›… ein ermittelnder Polizist, der lügt und nach der Verhandlung im Geld schwimmt.‹
Joshua wähnte sich auf einem Karussell, das unerwartet mit voller Wucht in die andere Richtung fuhr. Vor nicht einmal einer Stunde war er felsenfest von BartramsSchuld überzeugt gewesen. Es war wie verhext, seit dieser Fall begonnen hatte, gab es nur Unschuldige.
Welche Rolle hatte Klaus Dahlmann gespielt? War der Kollege tatsächlich korrupt, falls ja, von wem und vor allem warum hatte er sich kaufen lassen? Es ärgerte Joshua, dieser dünnen Spur nicht nachgegangen zu sein. Er hatte nicht einen Gedanken daran verschwendet. Korrupte Polizisten waren so weit weg. Es gab sie im Kino, vielleicht in Osteuropa oder auf Sizilien, aber niemals in seinen Erwägungen.
»Wollen Sie den Fall neu ermitteln?«
»Wir werden kaum darumkommen. Er dürfte der Schlüssel sein.«
42
Karin war die immense Bedeutung des nahenden Gesprächs mit Leon Bartram bewusst. Irgendwo, in irgendeinem Winkel seines Hirns war der Schlüssel abgespeichert. Ein Name, der ihnen wie ein Passwort die Tür öffnen konnte, hinter der sich der Täter versteckt hielt. Dieser Name befand sich in einem sicheren Schloss, umgeben von einer Mauer aus Schweigen. Unterwegs in den kahlen Fluren, auf dessen Linoleumboden sich das Neonlicht spiegelte, wollte die Ermittlerin über eine Strategie nachdenken, die dazu in der Lage war, die Mauer einzureißen. Es gelang ihr nur bis zu dem Punkt, als dieses Mädchen vor ihr geistiges Auge trat und sie hilfesuchendanblickte.
»Weiß sie es?«, hatte Lisa geflüstert. Karin hatte stumm den Kopf geschüttelt. In Lisas Augen hatten sich Zweifel und Unsicherheit vermischt. Carmen war den ganzen Abend über reserviert, ihre Konversation mit Lisa hatte sich auf Belanglosigkeiten beschränkt. Sie hatte es ihrer Tochter nicht übel nehmen können. Die Mädchen kannten sich nicht, sie hatte einfach zu viel erwartet.
Karin hatte den Eindruck gehabt, als habe Lisa den Film nur visuell
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