Willenlos
Gericht nicht den Namen des Mörders genannt?«
»Weil es ihm niemand geglaubt hätte, sämtliche Spuren waren verwischt.«
Joshua überdachte die These. Irgendwas gefiel ihm nicht daran, ohne dass er sagen konnte, was es war. Die Wut auf alle am Prozess beteiligten Personen inklusive Klaus Dahlmann. Selbst der brennende Hass konnte Bartram nicht derart die Sicht verstellen. Ihm musste klar sein, dass Richter und Schöffen so entscheiden mussten. Ein Kopfmensch wie Leon Bartram hätte seine Rache auf Dahlmann und den Mörder ausgerichtet, war Joshua überzeugt.
Plötzlich kam ihm eine Idee.
46
Leon Bartram hatte sich unterwegs an einer Tankstelle eine Flasche Rotwein besorgt. Beim ersten Schluck verzog er angewidert den Mund. Es war der teuerste Rotwein im Regal. Früher hätte er ein solches Gesöff bestenfalls zum Kochen verwendet. Er nahm Glas und Flasche und entleerte beides in der Spüle. Der Kabinett aus dem kleinen Regal in der Küche schmeckte einigermaßen gut.
Vor wenigen Minuten im Treppenhaus hatte er den Schlüssel in der Tasche belassen und stattdessen die Tür mit der Karte seiner Krankenversicherung geöffnet. Bei dem Gedanken daran glitten die Mundwinkel leicht hoch, sorgten für kleine Grübchen neben dem Kinn. Plastikkarte und eine Packung Dormicum ohne Fingerabdruck und schon war er aus dem Schneider.
Nach dem nächsten Schluck ging er ans Fenster, schob die Gardine einen Spalt zur Seite. Die gelangweilt aussehenden Männer in dem dunkelroten Golf auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren ihm sofort aufgefallen.
»Ihr werdet nicht ewig warten«, hörte Bartram sich flüstern. Vielleicht zeige ich euch nachher die Gegend, dreimal um den Block und wieder zurück, dachte er amüsiert. Oder ich bringe euch Kaffee an den Wagen. Er grinste hämisch. Nach einem weiteren Schluck Wein kramte er das Billighandy einer Kaffeefiliale aus der Tasche. Die Verkäuferin hatte darauf verzichtet, ihn nach Hause zu schicken, um seinen Ausweis zu holen. Die Prepaidkarte war bereits eingelegt, er wählte die vertraute Nummer, hoffte, der Anschluss würde noch existieren. Nach dem dritten Freizeichen vernahm Leon Bartram voller Zufriedenheit die bekannte Stimme. Sie klang sehr leicht, ein wenig verunsichert. Er begrüßte ihn mit einem dunklen »Hallo …«
Röchelndes Atmen drang an sein Ohr. Er bildete sich ein, den Angstschweiß riechen zu können.
»Du sagst ja gar nichts«, Bartram flüsterte bedrohlich, »freust du dich denn gar nicht, dass man mich wieder freigelassen hat?«
»Was willst du?«
»Nur mal wieder deine Stimme hören, dieses ängstliche Wimmern. Das solltest du nicht. Genieße dein Leben, wer weiß, wie lange es noch geht. Heutzutage lauert überall Gefahr.«
Bartram beschloss den Satz mit einem Lachen, das seinem Gesprächspartner durch jede Faser, in jede Zelle fuhr. Anschließend beendete er das Gespräch. Bartramöffnete das Handy, entnahm Speicher- und Prepaidkarte, warf beides in die Kloschüssel und betätigte die Spültaste.
47
Joshua schob die Akte beiseite. Gegen 18.30 Uhr hatte Bartram nach eigenem Bekunden das Badezimmer betreten. Bereits zehn Minuten später waren die Kollegen eingetroffen. Spätestens 18.40 Uhr also befand sich Leon Bartram definitiv am Tatort. Er hatte angegeben, wie jeden Tag direkt von der Klinik nach Hause gefahren zu sein. Der Todeszeitpunkt Lydia Bartrams wurde vom Rechtsmediziner auf die Zeit zwischen 12 und 13 Uhr taxiert. Um diese Zeit machte Bartram regelmäßig Mittagspause. Das Alibi aus dem Restaurant reichte nicht aus, es war genügend Zeit für einen Abstecher nach Hause vorhanden, ein weiteres Indiz gegen ihn. Was die Ermittler damals nicht interessiert hatte, war der Umstand, wann Bartram seinen Dienst beendet hatte. Ein Umstand, der heute entscheiden würde, ob ihm die Gelegenheit geblieben war, Dahlmann aufzusuchen oder nicht. Seine Frau hatte angegeben, ihr Mann und sein Gast hätten das Haus eine Stunde vor Geschäftsschluss verlassen. Die Geschäfte schlossen zu dieser Zeit spätestens um halb sieben. Davon ausgehend, dass Leon Bartram für die Fahrt von Mönchengladbach nach Meerbusch im günstigsten Fall 20 Minuten benötigt hätte, das Gespräch mit Dahlmann weitere zehn Minuten in Anspruch genommen hatte, musste er die Klinik also gegen 17 Uhr verlassen haben. Joshua suchte die Nummer der Klinik, sein Blick fiel auf die Wanduhr, 19.10 Uhr. Erwartungsgemäß hatten die
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