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Willenlos

Willenlos

Titel: Willenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
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Diskothek bekommen.
     
    Joshua hatte unterwegs Chris Diergarten unter seiner Privatnummer angerufen. Der Dealer war ihnen bekannt, sie ließen ihn weiter agieren, um an die Hintermänner zu gelangen. Karin bekam bei dieser Aussage einen Wutanfall.
    »Während die Kollegen in aller Ruhe die Hintermänner suchen, werden die nächsten Mädchen vergewaltigt!«, rief sie übereilt. Joshua verschwieg einen Kommentar. Karin musste sich eingestehen, dass dies die einzig mögliche Vorgehensweise war. Den Dealer zu verhaften würde die Hinterleute nur warnen. Anstelle des Türstehers würde binnen kürzester Zeit ein Nachfolger erscheinen, den ihre Leute vielleicht nicht so schnell entdeckten.
     
     

48
    Zitternd trat er aus der Duschkabine. Höchstens eine Minute hatte er die kalten Tropfen auf seinen Körper prasseln lassen.
    Andauernd war er in der Nacht aufgewacht, betrachtete den Vollmond, der drohend vor dem Fenster verharrte, das Zimmer in bleiches Licht hüllte. Er hatte sich im Bett gewälzt, immer wieder, bis er schließlich auf dem Rücken liegend, den Blick dumpf an die Decke gerichtet, auf den Schlaf gewartet hatte. Doch anstelle seiner Sinne verdunkelte sich das Zimmer. Bedrohlich langsam zog der finstere Schatten durch den Raum. Er hatte den Kopf herumgeworfen, glaubte, eine Gestalt würde am Fenster vorbeischleichen.
    Um 5 Uhr sprang er aus dem Bett, rannte durch alle Zimmer, öffnete die Türen des Kleiderschrankes, sah aus den Fenstern, durchsuchte die Morgendämmerung nach einem Schatten. In jedem Muskel seines Körpers fühlte er die Anspannung. Er zog sich Slip und Bademantel über, begab sich in die Küche, befüllte den Wasserkessel und schaltete die Herdplatte ein. Auf dem Weg zurück nahm er den nassen Pyjama vom Boden auf und stopfte ihn in den Korb mit der schmutzigen Wäsche. Beim Öffnen des Deckels schlug ihm der penetrante Geruch von Schweiß entgegen.
    Gestern, nach dem Anruf von Leon, hatten Fluchtgedanken für wenige Minuten die Angst erträglich werden lassen. Ein One-Way-Ticket nach Mexiko war nur noch einen Mausklick entfernt gewesen.
    ›Er wird mich überall finden.‹
    Wie ein Bohrer drang der Gedanke schmerzhaft durch die Schädeldecke, breitete sich explosionsartig aus. Die Sache musste zu Ende gebracht werden, Flucht war nicht möglich. Zwei einsame Jäger im Dschungel ohne Ausweg. Wieder suchte er nach dem einen Detail, malträtierte den Verstand mit immer derselben Frage. Warum hatte die Polizei ihn laufen lassen? Nur Leon Bartram durfte in ihren Augen der Mörder sein. Sie mussten ihn festnehmen, es gab nur die eine Möglichkeit. DasDormicum in seiner Wohnung, überall nur Leons Fingerabdrücke, die Bilder in der Nähe der Tatorte, ein Phantombild, das ihm wie ein Foto glich.
    »Verdammt«, hörte er sich fluchen, »was wollt ihr denn noch?«
    Auf dem Weg in die Küche blieb er am Wohnzimmerfenster stehen. Die Schatten der Sträucher verloren an Schärfe, wurden allmählich vom beginnenden Tag verschluckt. Blitzartig schrak er zusammen, fasste an die schmerzende Brust. Das Pfeifen des Wasserkochers, er hätte damit rechnen müssen. Er goss das heiße Wasser auf das bräunliche Granulat. Als er die Tasse zum Mund führen wollte, schwappte heißer Kaffee auf seinen Handrücken. Mit zitterndem Arm stellte er die Tasse zurück, kühlte die Hand unter fließendem Wasser. Stakkatoartig verließ der Atem seinen Mund. Er nahm die Flasche Calvados vom Regal und setzte sich an den kleinen Küchentisch. Drei kräftige Schlucke später entspannten sich die Nerven. Vor ihm lagen die Fotos, er hatte sie am Vorabend nicht mehr eingeräumt. Amüsiert dachte er daran, wie sehr sie sich im Alter angeglichen hatten. Sie hatten nie verstanden, warum ihre Eltern auf diese Unterschiede bestanden. Sie hatten stets unterschiedliche Hosen und Hemden tragen müssen, ihre Frisuren glichen sich nie. Erst viel später, sie waren schon Teenager, hatten sie aufgegeben. Unter Tränen hatte ihre Mutter ihnen die Wahrheit gesagt, die Vorsilbe ›Stief‹ mit einem Satz gestrichen. Ihre leiblichen Eltern waren gestorben, als er zwei, Leon ein Jahr alt war. Die Bartrams kamen zu spät, die Behörden hatten sie bereits getrennt. Zwei Geschwister waren schwer vermittelbar, sie hatten ihnen die Kindheit im Heim unbedingt ersparen wollen. So erhielt Leon zuerst den Namen Bartram. Erst vier Jahre später, als auch seine Adoptiveltern gestorben waren, hatten die Bartrams die Geschwister zusammenführen

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