Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
fünfzig Bahnen in der Dunkelheit geschwommen. Plötzlich hatte er einen Mordshunger – auf das Frühstück, auf die Welt zu seinen Füßen, der zu sein, der er beschlossen hatte zu sein. Er trug ein sauberes Hemd, weiß und perfekt gebügelt, auch wenn es ihm mehrere Nummern zu groß war, und unter seiner Sommerhose eine saubere seidene Unterhose, die heimlich ihre luxuriöse Weichheit andeutete, auch wenn sie mit der Büroklammer von der Stiftungsbroschüre am Rutschen gehindert wurde. Sein Haar war nach dem nächtlichen Schwimmen zerzauster denn je.
Er ging mit langen Schritten den Weg entlang. Nikki hatte gesagt, es würde von ihm erwartet, dass er sich unters Volk mischte. Der Bitte kam er nur zu gern nach. Er war Dr. Norman Wilfred. Alle würden sich freuen, ihn kennenzulernen. Vielleicht waren Leute da, die ihn noch aus den Tagen kannten, als er Oliver Fox gewesen war, oder von einem rivalisierenden Anspruchsberechtigten auf den Titel Dr. Norman Wilfred wussten. Es kümmerte ihn nicht. Er würde es mit ihnen aufnehmen. Und wenn der angeblich rechtmäßige Inhaber seiner Identität auftauchte, würde Oliver es auch mit ihm aufnehmen. Heute morgen fühlte er sich so verlässlich etabliert als Dr. Norman Wilfred, dass ihm kein anderer Dr. Norman Wilfred, und wäre er noch so gut ausgestattet mit Pässen und Kreditkarten, den Titel streitig machen konnte. Irgendwo in dieser leuchtendblauen Welt wartete Nikki auf ihn. Sie würden gemeinsam über die Missverständnisse der vergangenen Nacht lachen. Und selbst wenn die Sache auf demütigende, haarsträubende Weise schiefging, was früher oder später unvermeidlicherweise der Fall sein würde, er würde darüber lachen und sie mit ihm.
Das leichte Gefälle führte ihn zielstrebig hinunter ins Bild. Die Welt strahlte, die Welt erstreckte sich unterhalb von ihm, die Welt war wieder in Ordnung.
Als Dr. Wilfred am Morgen das Haus verließ, war die Unzulänglichkeit der Nacht in den Hintergrund gerückt, und er trat in eine neue und bessere Welt. Auf der anderen Straßenseite fand er den versprochenen Pfad, der in einem verlockenden Zickzack die Anhöhe hinunter in einen blassgrünen Olivenhain führte, die ziegelgedeckten Dächer der Stiftungshäuser wie rotfelsige Inseln darin verstreut, doch vom Meer war von hier oben immer noch nichts zu sehen. Mit langen Schritten setzte er sich in Bewegung. Es war zwar bereits heiß, aber die Hitze war noch durchaus erträglich, und als sich das Tal unterhalb von ihm öffnete, begann sich seine Stimmung aufzuheitern.
Nach dem Vorfall in der Nacht hatte er Mühe gehabt, wieder einzuschlafen; ihm war schmerzlich bewusst gewesen, dass sich die Frau, die ernsthaft geistesgestört zu sein schien, noch immer hinter der Badezimmertür versteckte, nur ein paar Meter von seinem Bett entfernt. Er war zudem schlecht auf diesen Tag vorbereitet. Er musste das Hemd, die Socken und die Unterhose von gestern anziehen. Er war unrasiert, seine Zähne waren nicht geputzt, da er weder über Rasierapparat noch Zahnbürste verfügte. Die Frau war noch immer eingesperrt im Bad, deswegen hatte er nicht einmal duschen können.
Kaum hatte er sich von seinem anfänglichen Schock erholt, hatte er in der Nacht sein Bestes getan, um auf rationale Art mit ihr zu kommunizieren. So ruhig und beherrscht, wie es durch das Holz hindurch möglich war, hatte er ihr seine Hilfe angeboten, um hinzugelangen, wo immer sie glaubte zu sein, aber er hatte keine Anwort erhalten. Er hatte es am Morgen noch einmal versucht. Er gehe jetzt aus, hatte er gesagt, um jemanden zu suchen, der ihr helfen könne, wiewohl sie die peinliche Situation vielleicht vermeiden wolle, indem sie sich still und leise davonstehle, bevor er zurückkehre. Wieder keine Antwort, und er hatte vor sich das Bild, wie sie tot auf dem Badezimmerboden lag, die Pulsadern aufgeschnitten oder eine leere Tablettenschachtel in der Hand, gefolgt von einem anderen Bild, auf dem sein Name prominent in den Schlagzeilen figurierte. Er hatte ganz vorsichtig die Türklinke gedrückt. Sie war abgeschlossen, aber er hatte sich beruhigt, nachdem er einen leisen Schreckensschrei aus dem Bad gehört hatte.
Sein Problem verblasste jedoch im hellen Licht des mediterranen Morgens. Früher oder später würde selbstverständlich wieder Normalität einkehren. Seine Tasche hing an seiner Schulter, sein Vortrag befand sich darin – das war die Hauptsache. Jemand von der Stiftung würde die Frau in seinem Bad loswerden. Jemand
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