Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frayn
Vom Netzwerk:
war aufgebläht, zum einen aus Empörung, zum anderen dank der ausgiebigen Aufnahme organischer Nudeln, kombiniert mit dem sitzenden Leben, das er und Christian in Empedokles führten. Es war schwierig, unauffällig so einen Bauch vor sich her zu tragen, insbesondere wenn man wie Eric ein pflaumenfarbenes T-Shirt und eine dreiviertel lange orangefarbene Skaterhose trug.
    Er war weit weniger aufgebläht, wenn er mit Christian sprach, da auch er im Schneidersitz auf dem Boden saß und sich nach vorn neigte, um sein Rückgrat zu entlasten. Gegenüber Christian brachte er nicht Empörung, sondern Verehrung zum Ausdruck. Christian hatte gelitten und sein Leiden überwunden. Das Leiden und seine Überwindung waren eingemeißelt im erodierten, ausgetrockneten Kalkstein seines Gesichts. Einst hatte er Dinge getan. Jetzt war er jenseits davon. Was hatte er einst getan? Niemand erinnerte sich mehr daran, nicht einmal Eric. So hoch über und jenseits von jeglichem Tun stand er.
    »Natürlich wieder ein Brite, dieser Dr. Wilfred«, sagte Eric. »Die ganze Stiftung wimmelt von ihnen! Das geht natürlich alles auf Nikki Hooks Konto. Alles, wofür du je gestanden hast, wird anglisiert. Trivialisiert! Ironisiert!«
    Eric kannte sich aus mit Briten. Er war selbst einer.
    »Ich tue mein Bestes, Christian«, sagte er. »Aber allein schaffe ich es nicht. Nikki Hook hat überall ihre Klauen drin. Sie wickelt Mrs. Toppler um den Finger. Und letzte Woche habe ich gesehen, wie sie mit Mr. Papadopoulou gesprochen hat. Mit ihm hat sie auch etwas vor.«
    Die gesamte Zukunft der Stiftung stand auf dem Spiel. Dieter hatte die Stiftung zu dem gemacht, was sie war, und Christian, Dieters Partner und persönlicher Assistent, war sein erwählter Nachfolger. Nachdem Dieter, erschöpft von Entsagung und Hingabe, still dahingeschwunden und unter den Steinen der Agora in kleinem Kreis zur Ruhe gebettet worden war, mit dem Kopf in Richtung Erdmitte in Übereinstimmung mit seinen hochspezialisierten persönlichen Glaubensvorstellungen, stand unumstößlich fest, dass der Stiftungsvorstand Christian zu seinem Nachfolger ernennen würde. Nach angemessener Zeit hatte sich Christian seinerseits Eric als Partner und persönlichen Assistenten geholt, und es schien, als würde die Stiftung eine Art Nachfolgeregelung als Teil ihrer ungeschriebenen Verfassung entwickeln. Eines Tages, zweifellos erst in vielen Jahren, wenn Christian seinerseits dahingeschwunden wäre, würde Eric sein Amt als Direktor übernehmen. Oder? Eric selbst war sich gar nicht so sicher. Wenn Christian seine Wünsche nicht klar zum Ausdruck brachte … Wenn er zuließ, dass ihm die Macht aus den Fingern glitt, während sich dreiste Anfänger ohne Gespür für konstitutionelle Finessen vordrängten …
    »Vielleicht ist die Zeit gekommen«, sagte Eric, »dass du deine Abgeschiedenheit zu guter Letzt aufgeben und zuschlagen musst. Plötzlich – aus dem Nirgendwo – bist du wieder da! Beim Vortrag heute abend. Wie Jesus, der die Geldverleiher aus dem Tempel jagt! Wie Gott am Jüngsten Tag!«
    Die winzigen Lichtpunkte in den Pupillen von Christians Augen bohrten unbestechlich weiter. Die tiefverschatteten Furchen in seinem Gesicht behielten ihre reglose Integrität. Womöglich, dachte Eric, war er nicht nur jenseits allen Tuns, sondern auch allen Fühlens. Jenseits allen Denkens sogar. Womöglich hatte er nicht nur die physische Welt, sondern auch die spirituelle transzendiert und einen Zustand völliger Leere erreicht.
    Doch nein. Langsam hob Christian den Kopf ein wenig, und die beiden hellen, starren Laser durchbohrten seinen Schüler. Seine Lippen bewegten sich beinahe. Fast hätte er gesprochen.
    Ja, die Wiederkunft stand bevor. Eric spürte es. Christian würde erscheinen. Und er wäre furchtbar.
    »Eins ist mir immer noch nicht ganz klar«, sagte derselbe kleine Mann mit der zerbrochenen Brille, der Dr. Wilfred früher schon zugesetzt hatte. »Oh, Norbert Ditmuss. West Idaho. Emeritus. Ja, mir ist noch nicht ganz klar, wie Sie zu einer Lösung von Wexlers Gleichung gelangen, die sich Theobalds Konstante annähert.«
    Dr. Wilfred dachte eingehend darüber nach. Der Professor würde offensichtlich weiter auf dem kleinen langweiligen Argument herumreiten, das er unbedingt anbringen wollte. Dr. Wilfred überlegte, ob er die Zeichenkettentheorie oder die Quantenverschränkung anführen sollte. Er hatte so gut wie keine Ahnung, worum es sich dabei handelte, hatte sie jedoch ein- oder zweimal

Weitere Kostenlose Bücher