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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frayn
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ihrem Moskitonetz.
    Und dann hörte sie endlich das ferne Geräusch eines Autos, das sich im ersten Gang den Berg hinaufquälte. Nach jeder Kurve wurde es lauter. Ein beweglicher Lichtfleck tauchte auf der Straße unterhalb von ihr auf, dann zwei blendende Scheinwerfer, die durch Schlaglöcher hüpften. Es kostete sie große Mühe, aufzustehen, so steif war sie nach all der Zeit.
    Sie zögerte einen Moment, als das Taxi anhielt, unentschlossen, ob sie, wie sie es sich einst ersehnt hatte, die Arme um Oliver schlingen oder an ihrem neuen Vorhaben festhalten und ihm so gut wie möglich mit nackten Füßen eine schmerzhafte Verletzung beibringen oder ihn erst umarmen und dann treten sollte.
    Als Oliver aus dem Taxi stieg, erstrahlte der Garten der Villa wieder wie im Märchen, und es war nicht Oliver, es war Wilfred. Natürlich. Wilfred war wieder da. Sie hätte es an seinem schmierigen Ausdruck erkennen können, als er abfuhr, dass sie ihn noch nicht endgültig losgeworden war.
    Sie umarmte ihn nicht. Sie trat nicht nach ihm. Sie wartete, während er etwas vom Rücksitz nahm, die Tür zuschlug und das Gartentor öffnete. Er trug etwas, was mit einem Laken bedeckt war, wie eine Krankenschwester, die eine Bettpfanne brachte. Doch sie stieg bereits in das Taxi. Der Fahrer drehte sich um und sah sie an. Sie zog das Moskitonetz fester um sich, dann bemerkte sie, dass ihr das Gesicht des Mannes oder vielmehr die Warze mitten auf seinem kahlen Kopf beruhigenderweise bekannt war.
    »Sie sind Spiros, nicht wahr?« sagte sie.
    »Stavros«, sagte Stavros. »Wohin?«
    Ja, wohin? Sie hatte nicht die leiseste Ahnung. Jetzt, da sie darüber nachdachte, wusste sie zudem nicht, wie sie die Fahrt ohne ihre Handtasche bezahlen sollte.
    »Sagen nichts«, sagte Stavros. »Ich weiß.«
    »Ja?«
    »Natürlich!« Er schaute auf ihr Moskitonetz, während er wendete. »Wo sonst auf Skios heute abend in Abendkleid außer nur Fred Toppler?«
    Die mit dem Tischtuch bedeckte Platte mit Kanapees in der einen Hand, hob Dr. Wilfred mit der anderen den schmiedeeisernen Klopfer an der Haustür – und zögerte. Jetzt, da er hier war, war er nicht mehr sicher, ob Georgie sich so über seine Rückkehr freuen würde, wie er angenommen hatte. Wenn sie die Tür öffnete und ihn auf der Schwelle stehen sah, könnte sie voreilig falsche Schlüsse ziehen und sie wieder schließen, bevor er Zeit hatte, eine Erklärung abzugeben.
    Über das Essen würde sie sich jedoch bestimmt freuen. Es wäre vielleicht ratsam, dass sie vorab das Essen und dann erst ihn sah. Er ging um das Haus, weil er ihr die Kanapees durch die Scheiben der Terrassentür zeigen wollte. Deswegen war er schließlich gekommen, um ihr etwas zu essen zu bringen. Er dachte an die Kanapees, nicht an ihre Leberflecken oder ihre Wirbel. Er würde ihr einfach die Kanapees geben und wieder gehen.
    Keine Spur von ihr auf der anderen Seite der Glastür, deswegen schob er sie vorsichtig auf und horchte … Sie war im Bad – er hörte das Wasser laufen. Gut – er würde die Platte auf den Küchentisch stellen, so dass sie sie fand, wenn sie herauskam. Obwohl er auch den Tisch für sie decken konnte, wenn er schon da war. Natürlich nur einen Teller. Na gut, zwei, sollte sie darauf bestehen, dass er ein paar Kanapees aß, um ihr Gesellschaft zu leisten.
    Er ging durch die große Küche, öffnete Schränke und Schubladen. Teller, ja. Gestärkte weiße Damastservietten. Er arrangierte die Kanapees so geschmackvoll wie möglich und steckte zwei gefrorene Brotscheiben in den Toaster. Er fand zwei silberne Kerzenständer und zwei lange rote Kerzen, um ihr einsames Abendessen ein bisschen festlicher zu gestalten.
    Er dachte an das andere Abendessen, das in diesem Moment in der Stiftung serviert wurde. An all den Unsinn, den die Schwachköpfe an den überladenen Tischen verzapften und der nicht gehört wurde wegen des Lärms all des anderen Unsinns, den die Schwachköpfe um sie herum verzapften. An den falschen Dr. Norman Wilfred, der die Gänge kommen und gehen sah und spürte, wie sein Mund immer trockener wurde, während die Stunde näher rückte, zu der er aufstehen und seinen Vortrag halten müsste. Und was für einen Vortrag würde er halten? Der einzige Vortrag, den irgendein vorstellbarer Dr. Norman Wilfred halten konnte, lag hier auf dem Tisch neben den Kanapees, in seiner eigenen Obhut, der Obhut des echten Dr. Norman Wilfred, des erfolgreichen Dr. Norman Wilfred, des glücklichen Dr. Norman Wilfred,

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