Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
des Dr. Norman Wilfred, der gewusst hatte, wie er das große Haus seiner Karriere bauen musste – und dann den richtigen Augenblick erkannt hatte, um zur Tür hinauszugehen und es zu verlassen.
Er hörte, wie die Badezimmertür geöffnet wurde, und dann Georgies Schritte, die sich näherten. Auch sein Mund war ein bisschen trocken, obwohl er keinen Vortrag halten musste.
Sie stand in der Tür, in einen Bademantel gewickelt. Und hielt deutlich vernehmbar den Atem an.
»Was ist denn jetzt los?« rief sie.
Doch ihre Stimme hatte sich verändert, sie war voll und dunkel geworden. Er sah sie an, plötzlich ängstlich. Ja, auch ihr Gesicht hatte sich verändert, wie ein Gesicht in einem Traum. Alles an ihr hatte sich verändert, und zwar so, dass es nicht wiederzuerkennen war. Alles war voll und dunkel geworden.
Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.
Während der letzten vierundzwanzig Stunden war etwas mit der Welt grundsätzlich schiefgegangen. Der Golfstrom seines Glücks, der ungefähr seit seinem zwölften Lebensjahr seine Küsten warm umspülte, hatte ohne Vorwarnung die Richtung geändert und ihn in einem unbekannten, unwirtlichen neuen Klima zurückgelassen.
44
Der Pass lag auf dem Schreibtisch, auf dem Nikki ihn liegengelassen hatte. Sie hob ihn hoch, als wäre er verseucht. Er war so fremd wie ein alter Liebesbrief von jemandem, der sich als unaufrichtig herausgestellt hatte. Sie erinnerte sich, wie sehr sie der Anblick des nichtlächelnden Gesichts bereits zuvor verstört hatte. Es war aufschlussreich gewesen. Wenn er nicht lächelte, hatte er etwas Kaltes. Etwas Grausames – etwas, was fast ans Psychopathische grenzte. Trotz ihres Widerwillens blätterte sie die Seiten um und betrachtete erneut das Foto. Ja, da war ein gemeines, lauerndes Licht in seinen Augen, und sein Mund hatte etwas Verkniffenes.
Er sah ganz anders aus als der lächelnde Hochstapler, in den sie sich um ein Haar verliebt hätte. Ja, er sah ganz anders aus als die nichtlächelnde Version seiner selbst, die sie zuvor auf dem Foto gesehen hatte. Seine blonden Haare waren ausgefallen – er war halb kahl. Er hatte Tränensäcke, seine Wangen waren faltig, sein Kinn schwammig. Er war mindestens fünfzehn Jahre älter. Es war wie das Bildnis des Dorian Gray.
Nein, er war jemand vollkommen anderer. Der Pass hatte seine Identität verändert, genau wie Dr. Norman Wilfred selbst. Die ganze Welt zerfloss vor ihren Augen.
Sie schaute auf den Namen des Fremden.
Ja, natürlich. In ihrer Aufregung, was sie tun sollte, und in ihrer Wut auf den falschen Dr. Norman Wilfred hatte sie sein anderes Opfer völlig vergessen. Hier war er, blickte sie aus vergangener Gewöhnlichkeit an, aus der stillen Langeweile der Dinge, bevor dies alles passiert war: der echte Dr. Norman Wilfred.
»Wir warten, bis er aufsteht, um zu sprechen«, sagte Annuka Vos zu Dr. Wilfred. »Irgendein Schwachkopf wird ihn vorstellen. Alle werden klatschen, und dann wird es für einen Augenblick ganz still werden, bevor er den Mund aufmacht. Und das ist der Moment, in dem wir aufstehen und die größte, peinlichste öffentliche Szene machen, die man je erlebt hat.«
Dr. Wilfred saß neben ihr auf dem Rücksitz des Taxis, hielt sich mit einer Hand an seinem Vortrag fest, mit der anderen am Sicherheitsgurt, während sie den Berg hinunterrumpelten und Schlaglöcher und Haarnadelkurven sie aus der Dunkelheit ansprangen. Sie hatten fast alle Kanapees gegessen und mehrere Gläser von Petrus’ Brandy getrunken, während er ihr das Unrecht schilderte, das Oliver Fox ihm angetan hatte. Die Empörung, die sie aufgrund ihrer eigenen Behandlung verspürte, wurde geschürt durch den Brandy, aber noch mehr durch ihren uneigennützigen Ingrimm wegen des Torts, der Dr. Wilfred angetan worden war. Sie waren beide abscheulich getäuscht worden. Und jetzt wusste sie, wo der Missetäter zu finden war.
»Das Problem ist«, sagte Dr. Wilfred, »dass mir niemand glauben wird. Sie haben mir vorhin schon nicht geglaubt.«
»Wenn jemand Zweifel äußert, überlassen Sie ihn mir. Ich werde mit ihnen fertig. Wenn nötig mit Gewalt. Ich weiß nicht, wovon dieser Vortrag von Ihnen handelt, und es ist mir auch egal. Aber Sie werden ihn halten, nicht er. Auch wenn wir ihn zu zweit niederschreien müssen.«
Dr. Wilfred schwieg ein, zwei Schlaglöcher lang. »Eigentlich will ich ihn gar nicht halten«, sagte er. »Diese Idee habe ich aufgegeben.«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Was? Sie
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