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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Blitze in der Hitze und die Sterne. Das letzte Mal, dass ich sie so gut gesehen hatte, war an Bord der Kaisei gewesen, während ich den weitschweifigen Erzählungen des Piratenkönigs über den Orion, die Plejaden und den Cetus lauschte.
    Eine große Fledermaus kam aus dem Dunkel geflattert und flog über unsere Köpfe. »Aaaahhh – sie kommen!«, schrie Adam und duckte sich. Sogar mitten auf einem Sojafeld war der Wald hinter ihm her.
    Die Fledermaus verfolgte ihren Zickzackkurs über das Sojafeld hinter uns. Ich blickte über das Feld, das sich weit hinten in der Dunkelheit verlor. Wie haben sie das alles hier nur gerodet?
    »Vor Jahren«, erzählte Rick, »hatte ein Rancher in der Nähe ein Stück Wald gekauft, das er roden wollte. Er engagierte fünfhundert Männer, kaufte fünfhundert Motorsägen und dann ging’s dem Wald an den Kragen. In einer Saison rodete er ich weiß nicht wie viele Tausend Hektar, einfach brrrrrrrcchhhh! «
    Rick hatte gesagt, er wollte als einer der Typen »mit guten Absichten« dargestellt werden und seine Begeisterung für den Regenwald kam mir echt vor. Doch die Tatsache, dass er einer der Hauptexporteure von Holz aus Santarém gewesen war, bedeutete auch, dass er sein Geschäft höchstwahrscheinlich mit illegal geschlagenem Holz gemacht hatte. Noch in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende stammten sechzig bis achtzig Prozent des Amazonasholzes aus illegalen Quellen. Und obwohl Rick nicht ins Detail gehen wollte, hatte er mehrmals Anspielungen auf den Wahnsinn der alten Tage gemacht, auf die verrückten Dinge, die er in der brasilianischen Holzindustrie gesehen hatte. Er kannte das Geschäft, mit dem er sein Geld verdient hatte. Wenn er darüber sprach, seine siebenhundert Hektar Wald zu erhalten, klang er wie jemand, der sich selbst beweisen will, was für ein Mensch er in Wahrheit ist.
    Das Sojafeld vor uns war ungefähr einen Hektar groß. Normalerweise habe ich kein Gefühl für solche Dimensionen, aber ich hatte nachgeschaut, und hier lag ein Stück Land vor mir, das ungefähr die Größe eines Fußballfeldes hatte.
    »Ist das nicht eine riesige Fläche?«, fragte Rick. »Und das gibt es noch siebenhundert Mal da hinten im Wald.« Ricks Regenwald erschien mir auf einmal ungeheuer groß, wie eine ganze Welt.
    »Ich kann immer noch kaum glauben, dass dieses Stück Land mir gehört … Es sollte eigentlich überhaupt keinem Menschen gehören!« Er lachte. »Diese Art Vermögen oder Macht oder was es auch ist zu haben …«
    »Das ist nicht dasselbe wie ein Auto oder Haus zu besitzen«, sagte ich. »Sondern wie ein kleines Universum mit dir darin.«
    Er nickte. »Und es ist schon seit … ach, du weißt schon. Es hat sich über Millionen Jahre entwickelt … Was gibt mir das Recht, auf die Welt zu kommen und plötzlich ist es meins? Ich bin bloß ein kleiner Fleck auf der Erde. Seit ich lebe, ist höchstens ein Sandkorn durch die Sanduhr gerieselt, und plötzlich habe ich die Möglichkeit, etwas auszulöschen, das …«
    Rick schüttelte den Kopf und sah in die Dunkelheit auf der anderen Seite des Feldes, dorthin, wo der Regenwald begann.
    »Auf einmal bin ich hier«, sagte er. »Und komme mir vor wie der letzte Mohikaner.«

 

 
    SECHS AUF DER SUCHE NACH DEM TRAURIGEN KOHLEKUMPEL
    SECHS
    AUF DER SUCHE NACH DEM
    TRAURIGEN KOHLEKUMPEL
    ELEKTROSCHROTT, KOHLE UND ANDERE CHINESISCHE SCHÄTZE
    Guiyu.
    Der Gestank von heißem Lötzinn. Am Boden liegen Kondensatoren. Bauteile quellen unter einem geschlossenen Tor hervor. Handygehäuse sind zu meterhohen Haufen zusammengeharkt, wie Blätter im Herbst. Wir biegen um die Ecke. Drei Meter hohe Stapel graues Computerplastik warten darauf, sortiert und recycelt zu werden. Sie sehen aus wie Haufen dreckigen Schnees, abgeladen von einem Schneepflug.
    Alte Tastaturen sind auf Paletten geschichtet, Würfel über Würfel, wie Ballen aus elektronischer Baumwolle. Ein ganzes Lager, fußballfeldgroß, nur Tastaturen. Identische Tastaturen, schmuddelig und halb zerquetscht, meterhoch aufgestapelt. Ich erkenne das Modell, dasselbe hatte ich auch einmal. Ist meine alte Tastatur auch hier gewesen, wurden hier die Tasten abgebrochen, das Metall herausgelöst und das Plastik eingeschmolzen? Ich pflücke eine Taste ab und stecke sie mir in die Tasche.
    Ein paar Männer schaufeln Heu von einem großen Lastwagen herunter und werfen es daneben zu einem Haufen auf. Es ist die zeitlose Geste des Heueinbringens. Aber das hier ist keine Heuernte: Die

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