Willkommen im sonnigen Tschernobyl
jeder, der in der Nähe von Santarém unberührten Wald besaß. Als ich Steven Alexander – ebenfalls ein amerikanischer Waldbesitzer – fragte, ob ihm irgendjemand ein Kaufangebot für sein Land gemacht habe, lachte er.
»Sie standen jeden Tag Schlange, um es zu versuchen!«, antwortete er.
Der freundliche, knapp über siebzigjährige Mann mit dem weißen Bart lebte seit dreißig Jahren hier. Anfangs hatte er für eine Nichtregierungsorganisation gearbeitet, die sich in den Bereichen Gesundheit und Bildung engagierte, und dann als Waldführer. Als die Preise niedrig waren, kaufte er sein Land zurück. Nun war es auch eine Insel. Langfristig sah Alexander schwarz für die Amazonasregion.
»Ich vermute, dass sie immer mehr Nordamerika oder Europa ähneln wird«, sagte er.
»Wirklich?«, hakte ich nach. »Amazonien wird aussehen wie Frankreich?«
Er dachte einen Augenblick darüber nach. »Nach einiger Zeit, in hundert oder zweihundert Jahren, werden wir hier, glaube ich, nur noch Reservate sehen … Alles um sie herum wird verschwinden.« Der Regenwald würde dann als bloße Inselgruppe erhalten bleiben, einzelne Flecken geschützten Waldes über das Amazonasbecken verteilt.
»So ist anscheinend heute der Lauf der Dinge, nicht wahr?«, sagte er und lächelte sanft. »Mehr und mehr Menschen, mehr Straßen, mehr Entwicklung, weniger Wald. In diese Richtung scheint es zu gehen.«
*
Cargill, Greenpeace und Nature Conservancy stimmten überein, dass das Soja-Moratorium ein Erfolg sei. Doch damit war noch nicht alles erledigt. Zum einen blieb die Frage der zweifelhaften Legalität des Cargill-Terminals, zum anderen die der Kleinbauern, die, nachdem sie alles verkauft hatten, in bittere Armut gestürzt waren. Dies waren zwei wichtige Anliegen der Aktivisten im Kampf gegen die Sojaindustrie gewesen. Greenpeace hatte einen Kurzfilm produziert – In the Name of Progress: How Soya Is Destroying the Amazon Rainforest (Im Namen des Fortschritts: Wie Soja den Amazonasregenwald zerstört) –, der in drastischer, anklagender Weise den Blick auf diese beiden Themen richtet. Doch sobald das Moratorium unterzeichnet war, wurden sie fallen gelassen.
Das erklärt die Kluft zwischen einer internationalen NGO wie Greenpeace und einem angriffslustigen Aktivisten wie Pater Sena besser als alles andere. Aus seiner Sicht hatten Greenpeace und Nature Conservancy ein schwaches Abkom men erzielt. Der Rückgang der Abholzung war ihm zufolge der weltweiten Wirtschaftsflaute geschuldet, nicht dem Moratorium. Und selbst wenn es die Sojafarmer davon abhielt, den Wald abzuholzen – was war mit den verdrängten Kleinbauern? Sie waren weitaus schwerer zu kontrollieren. Zudem wurde nichts getan, um den entstandenen Schaden zu begleichen – und das Cargill-Terminal blieb.
»Greenpeace hat uns vergessen«, sagte Sena. »Sie haben unsere Bewegung missbraucht.« Sie hatten sich selbst zu Helden gemacht, den Sieg erklärt und waren weitergezogen.
Als Adam später mit Andre Muggiati, zuständig für die Wald kampagnen von Greenpeace im Amazonasgebiet, sprach, gab der das zu. »Edilberto ist immer noch ein guter Freund«, sagte er über Sena. Aber er fügte hinzu, für Sena sei »die einzige Lösung aller Probleme, Cargill zu vernichten und die Sojafarmer zurück in den Süden zu schicken. Das ist nicht realistisch. Uns war immer klar, dass wir uns irgendwann mit Cargill an einen Tisch setzen und eine Übereinkunft aushandeln mussten. Wenn man das Unmögliche verlangt, kommt man nie zu einer Lösung.« Mehr konnten die Aktivisten auch nicht tun. »Kapitalismus und Unternehmergeist sind legal in Brasilien«, sagte er. »Man kann nicht zu Cargill gehen und sagen: ›Geht weg.‹ Ebenso wenig kann man zu den Sojafarmern sagen: ›Gebt das Land den Kleinbauern zurück.‹«
Wer könnte da widersprechen? Doch so vernünftig seine Worte auch waren, sie hätten genau so auch von Cargill geäußert werden können und ließen damit einige unerfreuliche Parallelen erkennen zwischen dem Giganten des Agrobusiness und der Umweltorganisation, die ihn bekämpfte. Beide Seiten waren mit einem gewissen Pragmatismus an die Möglichkeit, nach dem Sojaboom Gerechtigkeit herzustellen, herangegangen. Beide hatten sich in Grauzonen der Legalität bewegt, um ihre Ziele zu erreichen. Natürlich hatte Greenpeace keinen Anteil daran, dass das Leben der Kleinbauern von Pará so radikal umgewälzt wurde. Aber die Organisation hat sie als Aushängeschild für ihre
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