Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Männer schaufeln Platinen. Grüne, nackte quadratische Bündel fallen scheppernd neben den Lkw-Reifen und türmen sich dort auf.
Frauen werfen Aluminiumschrott aus flachen Körben in die Höhe, trennen die Spreu vom Weizen. Mit großen, runden Sieben schüttelt eine Familie Widerstände und Kondensatoren heraus. Sind sie vom Land hierhergekommen? Hatten sie diese Utensilien auch auf dem Bauernhof benutzt?
»Ja, haben wir«, sagte Herr Han. »Wir haben sie auf dem Hof in Sichuan für Mais verwendet. Aber inzwischen wird der Mais mit Maschinen verarbeitet, und wir gebrauchen die Siebe nun, um Bauteile zu verlesen.«
Herr Han besaß seine eigene Werkstatt. Er und seine Frau waren beide in der Provinz Sichuan nordwestlich von Guiyu aufgewachsen. Sie hatten sich in einem anderen Recyclingbetrieb für Elektronik hier in Guiyu an der Südostküste Chinas kennengelernt und nach ihrer Heirat ihren eigenen Laden eröffnet. Sie waren auf Motherboards spezialisiert – die Hauptplatinen von Computern. Herr Han kaufte sie in 1x1-Meter-Würfeln, die aus Übersee, vermutlich Nordamerika, importiert wurden.
Gemeinsam mit seiner Frau, seiner Schwester und seinem Schwager sortierte und verarbeitete er jede Komponente der Motherboards. Sie schnitten die wertvollen Hauptprozessoren heraus, um sie weiterzuverkaufen, knibbelten wiederverwendbares Plastik ab, schmolzen den Lötzinn ein, der die Einzelteile am Motherboard befestigte, und fingen ihn auf, sortierten die Bestandteile in Säcke und schickten die gesäuberten Motherboards weiter, damit das in ihnen enthaltene Gold gewonnen werden konnte.
Die Werkstatt der Hans war eine von Tausenden in der Stadt. Die gesamte Wirtschaft Guiyus basiert auf dem Auseinandernehmen alter technischer Geräte und dem Wiederverkauf der Bauteile und Rohstoffe. Geht man durch die Straßen von Guiyu, sieht man, dass jedes Haus eine Werkstatt im Erdgeschoss und Familienwohnräume in den oberen Stockwerken hat.
Es ist ein dreckiges Geschäft. Computer sind voller schädlicher Dinge – nein, ich meine nicht das Internet –, und wenn man sie zerlegt, zusammenschmilzt oder zersägt, wird eine Ladung giftiger Substanzen frei. An einem Ort wie Guiyu mit, sagen wir mal, entspannten Arbeitsschutzstandards sind die Werkstätten voll mit Staub von Blei und anderen Schwermetallen und Wolken von Was-weiß-ich wabern durch die Straßen. Das Wasser ist verseucht mit PCB und PBDE und anderen aben teuerlichen Abkürzungen. Die Luft, das Wasser, der Staub – in Guiyu versprechen sie alle Krebs, Nervenschäden und kindliche Entwicklungsverzögerungen durch Bleivergiftung.
Giftmüll über die Grenzen zu bringen, insbesondere in Entwicklungsländer, ist eigentlich illegal. Das Basler Übereinkommen, die Konvention, in der das festgelegt worden war, war 2011, als ich Guiyu besuchte, schon über zwanzig Jahre alt. Im Fall von Elektroschrott ist sie jedoch leicht auszutricksen. Wie der Green-Electronics-Koordinator der allgegenwärtigen Green peace-Organisation sagte: »Üblicherweise umgehen die Exporteure die bestehenden Vorschriften, indem sie Elektroschrott in Second-Hand-Ware umtaufen.«
Natürlich wird er hier tatsächlich wiederverwertet, und das trägt neben Guiyus merkwürdig landwirtschaftlichem Charakter dazu bei, die Einschätzung der Stadt zu erschweren. Aber ob man sie nun als giftiges Dreckloch oder Musterbeispiel für Recycling und Einfallsreichtum betrachtet – der Elektroschrott strömt in die Stadt.
Dass es sich rechnet, das ganze Zeug mit dem Schiff um die halbe Welt zu schicken, lässt sich zunächst mit niedrigen Lohnkosten erklären. Doch man muss auch das Volumen leerer Con tainer einbeziehen, die nach China zurückkehren. Unglaubliche Mengen an Konsumgütern werden auf Containerschiffen von China in den Westen gebracht, und da sie auch wieder in die andere Richtung fahren müssen, ist es sehr günstig, Fracht zurückzuschicken. Das heißt, eigentlich kaufen wir unsere elektronischen Geräte gar nicht von den Chinesen: Wir mieten sie nur und senden sie dann zum Ausschlachten zurück.
Indien und bestimmte afrikanische Länder, darunter Ghana und Nigeria, mischen ebenfalls mit, aber China ist der Elektroschrottimporteur schlechthin und Guiyu die heimliche Hauptstadt dieser Branche. Da Guiyu voll und ganz auf elektronische Abfälle setzt, hat es sich zu einem Journalistenmekka entwickelt, was hier einigen Leuten nicht gefällt. Ein Team des Nachrichtenmagazins 60 Minutes wurde 2008
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