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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Kampagne benutzt und dann achtlos ausgemus tert, als ein politisch realistisches Ziel erreicht worden war. Und dieses Ziel – wenn es denn überhaupt erreicht wurde – war, den Wald zu schützen, nicht die sozialen Missstände anzuprangern, die den Sojaboom begleiteten. Auch ist die Ironie kaum zu übersehen, dass jemand von Greenpeace sich auf Realismus und Rechtsstaatlichkeit beruft, wo doch ein großer Teil des politischen Aktivismus dieser Organisation auf Idealismus und der gezielten Missachtung des Gesetzes beruht.
    Pater Sena – militanter Priester, hitzköpfiger Idealist und Freund der Frauen – war bald nicht mehr im Spiel. Zu Beginn der Verhandlungen über das Soja-Moratorium war Senas Frente em Defesa da Amazônia an ihnen beteiligt. Doch die FDA verlangte zu viel: ein zehnjähriges Moratorium, mit zwei Jahren rückwirkender Geltung, statt des realistischeren, jährlich zu er neuernden Arrangements, auf das es letztlich hinauslief. Sena erzählte uns, er habe die Runde verlassen. »Wir sagten: ›Vergesst es. Ihr könnt die Amerikaner hinters Licht führen, aber nicht uns.‹« Deshalb wurde das Soja-Moratorium für Pará ausgehandelt von Cargill (aus Minnesota, USA ), der Nature Conservancy (aus Virginia, USA ) und Greenpeace (gegründet in Vancouver, Kanada) und einer Wundertüte weiterer NGO s und Giganten des Agrobusiness, die meisten davon von der Nordhalbkugel.
    Vielleicht stellt sich das Soja-Moratorium am Ende ja als große Erfolgsgeschichte heraus und möglicherweise zeigt es sogar einen Weg auf, die Abforstung unter Kontrolle zu bringen. Doch ihm fehlt genau das, was das Ambé-Projekt des nachhal tigen Waldbaus etablieren möchte: lokale Akteure, die ein Inter esse an der Erhaltung des Waldes haben. Beim Ambé-Projekt haben die Menschen, die von der Nutzung des Waldes profitieren, zugleich einen wirksamen Anreiz, nachhaltig vorzugehen. Aber die diversen Beteiligten am Soja-Moratorium sind sehr verschieden. Eine Fraktion – Cargill und seine Mitbewerber – steht dem Regenwald bestenfalls gleichgültig gegenüber. Eine andere – die Sojafarmer – würden ihn abholzen, wenn sie könnten. Eine weitere – die größtenteils ausländischen NGO s – kann nur hoffen, ihre moralischen Imperative durch politisches Taktieren und juristische Überredungskünste in die Maschinerie des Agrobusiness und der Entwicklung zu integrieren.
    Und schließlich all die anderen, die noch im und um den Wald herum geblieben sind – die Menschen, die, aus welchem Grund auch immer, ihr Land nicht verkauft und gerodet haben. Wer kann schon sagen, wie lange sich für sie die Mühe noch lohnt, daran festzuhalten?
    *
    Am Abend aßen wir auf Antonios Hof und gingen dann zu Ricks Regenwaldhütte zurück. Von der Lichtung aus beobachtete ich die Fledermäuse, die im Licht des über dem Dschungel aufgehenden Mondes flogen. Brüllaffen johlten in der Ferne. In der Nähe gab eine Schar Frösche den endlosen, knarzenden Rhythmus für einen Klangteppich aus Piepsen, Flöten und Zirpen vor, zikadenähnliche Geräusche, die durch die Dunkelheit flirrten. Adam hatte eine Taschenlampe im Mund, schlug um sich und sprühte sich mit beißenden Wolken von Insektenspray ein.
    Am Rand der Lichtung holte Tang eine Gitarre hervor und begann zu klimpern, dazu sang er eine schwermütige Melodie in die Nacht hinaus.
    »Was ist das, Tangy?«, wollte Rick wissen. »Was aus deinem Heimatdorf?«
    »Dire Straits«, antwortete Tang.
    Gil schlief in seiner Hängematte, eine plumpe Riesenlarve zwischen zwei Bäumen. Wir gingen ein Stück hinaus, vorbei an Antonios Haus und ein paar dösenden Rindern, dorthin, wo die Sojafelder begannen. Tang legte sich, die Arme unter dem Kopf verschränkt, auf die Straße, während Rick, Adam und ich in den Nachthimmel starrten. Ursprünglich hatten wir gehofft, in der Ferne im Süden Feuerschein zu sehen. Zu der Zeit, als hier noch Gesetzesfreiheit herrschte, konnte man den Himmel in der Nacht apokalyptisch glühen sehen, erzählte Rick. Es war das flammende Rot des Waldes, der seine irdischen Bindungen abschüttelt. Die Ehrfurcht, mit der Rick das erzählte, erinnerte mich daran, wie Hilton Kelley die Abfackelungen in Port Arthur beschrieben hatte. Manche Arten der Zerstörung besitzen ihre eigene Schönheit.
    Heute Nacht war der Horizont jedoch nicht orange oder rot. Es war keine Brandsaison, wenn man sich heutzutage über haupt an irgendeine Saison hielt. So blieben uns nur das stille Zucken ferner

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