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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Osten Kanadas, die Zukunft unserer Energie begeben. Sie waren im Land der Ölsande angekommen.
    *
    Von den Vereinigten Staaten aus gesehen ist das riesige Kanada nichts als eine harmlose, kontinentgroße Fußnote, für Konservative die Zielscheibe von Witzen über Invasion und Annek tierung, für Liberale Gegenstand von Tagträumen über ein staatliches Gesundheitssystem und eine vernünftige Bankenregulierung. Allgemeiner Konsens unter den Amerikanern ist, dass ihre Verwandten im Norden im Grunde wie sie selbst sind, nur netter, wahrscheinlich intelligenter, auf jeden Fall aber hockeybegeisterter.
    Weniger bekannt ist allerdings, dass Kanada ein gewaltiger, CO 2 -ausschleudernder Erdölgigant ist, der die Erde erschüttern lässt. Bewahren wir uns das Stereotyp, dass die Kanadier anständige Menschen sind, die allerdings, sobald es ums Öl geht, keinerlei Zurückhaltung mehr kennen. Sie haben es. Mit einem Vorkommen von umgerechnet etwa 175 Milliarden Barrel hat das Land nach Saudi-Arabien die größten nachgewiesenen Erdölreserven. Der wichtigste Erdöllieferant der USA ist nicht irgendein Land im Nahen Osten. Es ist Kanada.
    Darüber lacht sich die US -Wirtschaft wahrscheinlich ins Fäustchen. Vor unserer Haustür liegt ein Persischer Golf ohne Perser. Ein Saudi-Arabien ohne Saudis – oder Araber. Und damit wirbt Kanada tatsächlich. Die Regierung Albertas ließ 2010 unter anderem folgenden Anzeigentext über die riesigen Tafeln am Times Square in Manhattan laufen: »Bei einem guten Nachbar können Sie sich eine Tasse Zucker borgen. Ein großartiger Nachbar versorgt sie täglich mit 1,4 Millionen Barrel Öl.« Das genügt, um maßvolle Demokraten mit furchtsamem Blick auf den Klimawandel dazu zu bringen, Pipelines bauen zu wollen.
    Die Erdölsache hat jedoch einen 170-Milliarden-Barrel-Haken. Das meiste kanadische Öl – die Hälfte des heutigen und 97 Prozent des errechneten zukünftigen Fördervolumens – ist kein flüssiges Erdöl, das nur darauf wartet, abgepumpt zu werden. Es ist Öl sand  – dicker, schmieriger, in der Erde verborgener Matsch. Und man kann nicht einfach einen Strohhalm hineinstecken und diesen Spezialmilchshake schlürfen, nein, man benötigt unvorstellbar große Schaufeln, um enorme Schluchten aus den einstigen Urwäldern auszuheben, und unvorstellbar große Trucks, um Unmengen des klebrigen, schwarzen Sands in gewaltige Zentrifugen zu befördern, die irrsinnig viel Wärme und Wasser brauchen, um den Sand zu erhitzen, bis das Öl fließt. Zurück bleiben – keine Nebensache für Enten – unermessliche Mengen giftiger Abwässer, die in überdimensionalen Absetzbecken gelagert werden.
    Alles klar? Naturschützer bezeichnen das als schmutziges Öl , als ob das Zeug, das in Kuwait aus der Erde kommt, in irgendeiner Weise sauber wäre. Aber Ölsand ist nicht einfach nur schmutzig, weil dafür Tagebau in beängstigendem Ausmaß nötig ist oder er ganze Seen voller Abfälle erzeugt, er verbraucht eben auch sehr viel Energie für die Aufbereitung des Öls, wesentlich mehr, als wenn bloß Erdöl aus einem Bohrloch gepumpt wird. Sollten Sie also eine Leidenschaft für CO 2 -Emissionen und Klimawandel hegen – also dafür, sie zu verhindern natürlich –, dann müsste Sie das aus Ölsand gewonnene Öl gehörig gruseln. Verbrennt man es, verheizt man zugleich die ganze Energie, die für seine Gewinnung benötigt wurde. Der Fachausdruck dafür lautet: doppelt doof.
    Die Ingenieure im Publikum könnten dagegenhalten, dass Ölsand, was den CO 2 -Ausstoß angeht, höchstens 1,25-mal so doof ist – kommt drauf an, wie man die Zahlen interpretiert. Trotzdem wurde eine Bewegung gegründet mit dem Ziel, die Ölsandförderung zu stoppen. Naturschützer sind entschlossen, Kanada davon abzubringen, immer neue Grand Canyons im Hinterland auszuschaufeln. Lasst das klebrige Zeug in der Erde, fordern sie mit dem Argument, die Welt verbrauche ohnehin schon zu viel fossile Brennstoffe, jetzt sei also nicht der richtige Zeitpunkt, um eine neue Quelle zu erschließen.
    Aber das Argument wird übertönt vom lauten, kollektiven Magengrummeln der USA . Sie betrachten das kanadische Öl als eine Möglichkeit, sogenannte Energieunabhängigkeit zu gewinnen – im Klartext »Öl ohne Muslime« – und wünschen sich nichts sehnlicher, als dass Kanada Albertas grüne Wälder abholzt und den guten schwarzen Sand direkt in die Raffinerien kippt. Die Naturschützer macht das natürlich wahnsinnig

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