Willkommen im sonnigen Tschernobyl
war nicht möglich . Diese Dinge mussten im Voraus gebucht werden. Die Genehmigungen. Die Begleitung. Außerdem wartete schon eine Gruppe ukrainischer Journalisten auf Dennis, die mit ihrem Besuch beginnen wollte. Das aufstrebende Geschäft des Zonentourismus kam in Gang.
Lernen Sie also aus meinen Fehlern. Planen Sie zwei Nächte ein.
Im Auto lehnte ich mich ganz vorsichtig gegen den Sitz und versuchte zu verschwinden. Nikolai lachte wieder. Immerhin hatte mein Kater Unterhaltungswert. Nikolai gab Gas und wir machten uns auf den Weg nach Kiew. Auch dies war ein schöner Tag für eine Autofahrt. Wieder herrliche Landschaften, wieder Kontrollpunkte. Wachposten, die mit ihren wunderbar klobigen Geigerzählern über das Auto wedelten, um seine Strah lung zu messen. Und Detektoren, die wie Telefonzellen aussahen und die wir umarmen mussten, um uns selbst zu testen. Und dann die Straße zurück nach Kiew, durch Dörfer und an Männern vorbei, die auf den Feldern ihre Sensen schwangen, und auf die Landstraße, die schon voll war mit dem aus der Stadt herausströmenden Wochenendverkehr.
Ich war noch nicht fertig mit dem Sperrgebiet. In meinem Hinterkopf entstand ein Plan. Der Plan für ein Picknick in der Nähe von Strakholissya, der Stadt, die ich auf der Karte entdeckt hatte. Ein Plan, für den ich Olena brauchte. Sie musste mir helfen, ein Ruderboot zu leihen. Sonntag vielleicht?
Aber im Augenblick drehte sich die Welt und ich konnte nicht gucken. Ich öffnete das Fenster. Frische Luft strömte herein und brachte Linderung. Nikolai fuhr dicht am Straßenrand, wir beschleunigten, und ich lehnte meinen Kopf gegen die Karosserie und lauschte mit geschlossenen Augen dem Dröhnen des Motors. Mit offenem Mund sog ich tief die sonnige, süße Luft des Sperrgebiets ein.
ZWEI IM PECHSCHWARZEN KANADA
ZWEI
IM PECHSCHWARZEN KANADA
ÖLSANDTAGEBAU IN NORD-ALBERTA
Am 28. April 2008 landeten etwa 1 600 Enten auf einem See bei Fort McMurray in Kanada. Für einen Frühlingstag in Nord-Alberta war es warm, bis zu zwanzig Grad, auf dem Wasser schmolz noch das Eis nach dem langen Winter. Die Enten waren unterwegs in die Brutgebiete der nördlichen Wälder Kanadas – ein breites, grünes Band aus Nadelhölzern und Feuchtgebieten, das sich quer durch das Land zieht und Brutgebiet für die Hälfte aller nordamerikanischen Vögel ist.
In dieser Gegend kann eine Ente jedoch nicht sicher sein, dass ein See tatsächlich ein See ist. Besagter See zum Beispiel war in Wahrheit ein riesiges Absetzbecken der Syncrude-Gesellschaft. Absetzbecken ist ein Fachausdruck der Bergbauindustrie für »Abfallbecken«. Als die Vögel landeten, überzog sich ihr Gefieder mit öligen Bitumenrückständen. Die meisten von ihnen ertranken, andere erlahmten auf dem Wasser, wo sie darauf warteten, von Menschen gerettet oder Journalisten gefilmt zu werden. Von den 1 600 Vögeln überlebte weniger als ein halbes Dutzend. Enten aller Welt, hütet euch vor Alberta.
Syncrude hatte vermutlich gehofft, seinen kleinen Entenv ölkermord geheim halten zu können, aber ein anonymer Informant machte den Vorfall öffentlich und noch am selben Tag hatte das Unternehmen es mit einem ausgewachsenen PR-Desaster zu tun. »Hunderte Enten tot oder im Sterben nach Landung auf Absetzbecken«, berichtete der Western Star . Die flapsige Schlagzeile des Spectator lautete: »Ententod im Teertümpel«. Innerhalb weniger Tage wuchs sich der Skandal von einem bloßen Unternehmensmissgeschick – »Syncrude in Schwierigkeiten wegen Entenkatastrophe« (Windsor Star) – zu einem Problem für die Provinzregierung – »Entenkatastrophe kratzt an Glaubwürdigkeit von Albertas Regierung« (Calgary Herald) – und dann zu einer Angelegenheit von nationaler Tragweite aus, um die sich sogar der Premierminister kümmern musste – »Harper kündigt Untersuchung des Entensterbens in Nord-Alberta an« ( CBC ) .
Das ist also Kanada – das einzige Land, in dem Enten nationale, ja geopolitische Bedeutung haben.
Aber der Grund war nicht, dass den Kanadiern das Wohlergehen ihrer Wasservögel besonders am Herzen liegt, sondern dass diese 1 600 Enten – mögen sie unvergessen sein – durch ihren Tod eine eitrige Wunde in die kanadische Volksseele rissen. Sie waren auf etwas Größerem als einem See gelandet – und gestorben. Größer als ein Absetzbecken. Sie hatten sich mitten in die Finsternis des wohl gigantischsten und umstrittensten Energieprojektes der Welt, in den Nahen
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