Willkommen im sonnigen Tschernobyl
die am regennassen Rumpf des Tankers herunterhing, erreicht. Die Holzsprossen – Holz? – waren an Tauen befestigt und dunkel vom Meeresschaum. Ich griff danach und hing auf einmal an dem Behälter von zwanzig Millionen Litern mexikanischem Rohöl. Wir enterten die Pink Sands .
Zu Zeiten des ersten Ölbooms waren die Schiffe nach Port Arthur gekommen, um das Zeug abzuholen. Nun aber brachten sie es her, in Ladungen von einer halben Million Barrel. Die Frage stellt sich – besonders dringlich nach einer Ölpest –, wie man sichergehen kann, dass diese Schiffe keinen Unfall bauen, wenn sie so viel Fracht auf einer derart schmalen Wasserstraße transportieren. Oder vielleicht ist die Frage eher, weshalb sie nicht häufiger Unfälle bauen. Die Antwort darauf ist, wie ich nun erfuhr, dass jeder große Tanker, der in den Sabine-Neches-Kanal einfährt, zwei ortskundige Lotsen an Bord holen muss.
Auf der breiten Brücke mit Linoleumboden trafen wir Kapitän Tweedel, Duanes Kollegen und Vorsitzenden der Sabine-Lotsen. Der hochgewachsene, attraktive Mann trug Chinos mit Flechtgürtel und war in Port Arthur aufgewachsen. (Nun lebte er allerdings in Beaumont – seine Frau wollte partout nicht in Sichtweite der Raffinerien wohnen.)
Die beiden Kapitäne gingen an die Arbeit, das heißt, sie starrten aus dem Fenster mit jenem Blick, den Leute bekommen, wenn sie gerade die Kontrolle über 55 000 Bruttoregistertonnen übernommen haben.
»Volle Kraft voraus!«, befahl Tweedel.
»Volle Kraft voraus«, wiederholte der Rudergänger.
Ich war zum zweiten Mal in Port Arthur, einige Monate nach der Eagle-Otome -Ölpest, und der normale Betrieb im Kanal war längst wieder aufgenommen worden. Einige Fragen waren allerdings noch offen und die Ermittlungen der Regierung zur Unfallursache dauerten an.
Die Sabine-Lotsen zeigten sich überraschend bereitwillig, mich mitzunehmen – sie arbeiteten inzwischen mit einem PR-Berater zusammen und wollten, dass ihre Geschichte bekannt würde.
Der Trick, einen Öltanker vor einem Unfall und ein Ökosystem vor auslaufendem Öl zu bewahren, ist anscheinend, Kapitän Tweedel und Duane Bennett auf der Brücke zu haben. Sie stehen da, starren aus dem Fenster auf einen Wasserabschnitt, den sie seit Jahren beobachten und befahren, und ab und zu sagen sie dem netten Philippiner am Ruder, er solle den Kurs um zehn Grad anpassen. Es ist natürlich komplizierter – aber nicht viel.
»Backbord zehn!«, sagte Duane auf dem Kapitänsstuhl. Er sah aus wie Captain Kirk, nur netter und nerdiger.
»Backbord zehn!«, kam die Antwort. Nichts passierte. Wie zuvor ließ das Brummen des Motors das Deck vibrieren. Und dann kroch etwa 180 Meter vor uns der Bug des Tankers langsam nach links.
Kaum ein größerer Hafen oder Kanal lässt Schiffe ohne einen Lotsen einfahren. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel und die Navigation ist zu heikel, um sie jemandem zu überlassen, der nicht jede Kurve und Untiefe der Strecke kennt. Auf offenem Meer, bevor das Schiff in den Kanal einfährt, klettert der Lotse an Bord wie ein Pirat mit Einladung. Die Tankerkapitäne sind nicht nur froh, das Kommando übergeben zu können – sie müssen es tun.
»Wir betrachten uns als Puffer, als Schutzeinrichtung für die Umwelt«, fährt Tweedel den offiziellen Kurs. »Die Regierung erwartet von uns, die Wasserstraße und die Bevölkerung vor einem Großbrand oder Umweltverschmutzung zu schützen.«
»Und der Unfall im Januar?«, fragte ich.
»Ich möchte nicht viel dazu sagen«, meinte er. »Der wird noch untersucht.« Es gebe keine Einzelursache, die für den Unfall verantwortlich sei.
So glitten wir voran an diesem kalten, nebligen Morgen, vom Vorhafen ins grüne Maul des Kanals. Am linken Ufer standen verlassene Ölplattformen in Erwartung von Aufträgen oder einer Verschrottung. Auf einer Karte der Küste hatte ich gesehen, wie Dutzende von Bohrinseln den Golf von Mexiko dicht an dicht besetzten. »Wie die Fliegen«, hatte Tweedel bemerkt.
Der Kanal von Port Arthur ist so schmal, dass zwei sich entgegenkommende Tanker nicht aneinander vorbeikämen und so flach, dass Tweedel ihn als »schlammigen Wassergraben« bezeichnete. Er sagte mir, dass wir im Augenblick einen Tiefgang von 11,9 Metern hatten. Der Boden des Rumpfes befand sich also 11,9 Meter unter der Wasseroberfläche.
»Was ist der maximal mögliche Tiefgang im Kanal?«, fragte ich.
Tweedel lächelte. »Zwölf.«
»Mittschiffs!«, rief
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