Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Besonderes, ehrlich gesagt.«
Jenseits der Bäume war ein kaltes, künstliches Glühen zu sehen. Wir hatten das Bohrgebiet erreicht. Es lag eingezwängt zwischen einem Dickicht und einer Kurve in einer Anliegerstraße.
Für die meisten heutigen Bohrlöcher wird kein statischer, hoch aufragender Turm mehr gebaut, wie man sie von historischen Aufnahmen kennt. Radley verwendete einen mobilen Bohrturm, der auf die Ladefläche eines himmelblauen Wagens in der Größe eines Feuerwehrautos montiert war. Wegen der weichen, pulvrigen Erde stand er auf einer Unterlage. Der Turm war senkrecht ausgefahren, ein schmales Stahlgerüst, nicht einmal 25 Meter hoch, mit roten und weißen Streben, an denen ein Dutzend grell scheinender Leuchtstofflampen angebracht waren.
Radley parkte bei den Bäumen. Mir kam ein hoffnungsvoller Gedanke. Ich zeigte auf den Bohrturm.
»Ich hätte nichts dagegen, ein bisschen mit anzupacken.«
Radley lachte.
»Nein, im Ernst«, sagte ich. »Ich könnte einen Schraubenschlüssel halten oder so.«
Er lachte wieder, als hätte ich ihm einen großartigen Witz über einen Deppen erzählt, der an einem Bohrturm aushelfen möchte, dabei hatte ich gerade in einem Anfall von Genialität das Mitmachölfeld erfunden.
Wir stiegen aus. Drei Roughnecks – so nennt man die Männer, die auf dem Ölfeld arbeiten – kletterten am Bohrturm herum. Radley zeigte auf den Bohrmeister und verschiedene Bohrhelfer, meinte dann aber: »Sagen Sie einfach Roughnecks zu ihnen – sie machen eh alles.« Bei so kleinen Betrieben fiel die Arbeitsteilung flach.
Wir gingen hinüber zum Fuß des Bohrturms. Davor lagen drei Dutzend Bohrstangen von je knapp zehn Metern Länge bereit, sowie der Bohrmeißel des Rotationsbohrers: drei faustförmige, glänzend rot lackierte, metallene Räder mit Noppen.
»Der ist brandneu«, sagte Radley und nickte zufrieden. »Damit kann man vier oder fünf Löcher bohren.« Eventuell lässt er sich danach wieder herrichten. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er als Briefbeschwerer endet.
Ein Bohrloch zu bohren, ist eine Kunst, die zum Teil genau hier auf dem Spindletop entwickelt wurde. Der Bohrmeißel wird an schweren Bohrstangen befestigt. Dann wird das Gestänge gedreht – in diesem Fall angetrieben von einem großen, am Gerüst hängenden sogenannten Top Drive. Das rotierende Rohr presst die Räder des Bohrmeißels gegen Sand und Stein, und so mahlt und hämmert sich der Bohrer seinen Weg in die Tiefe. Zugleich wird Bohrschlamm durch das Rohr hinuntergedrückt. Durch eine Öffnung im Bohrkopf kommt er unten im Bohrloch wieder heraus. Beim Zurückkreisen an die Oberfläche nimmt der Schlamm das Bohrgut mit, die losen Gesteins- und Sandteilchen, durch die der Meißel sich gemahlen hat.
»Bohrschlamm wurde genau hier erfunden!«, sagte Radley, während wir den Roughnecks bei den Vorbereitungen zusahen. »Früher ließ man sogar ein paar Kühe in einem Pferch herumstapfen, um ihn zu erzeugen.« Die Verwendung von Bohrschlamm geht auf Anthony Lucas zurück, es war eine Schlüsselerfindung. Das Drehbohrverfahren war zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar schon eine Weile bekannt, aber der Bohrschlamm verhinderte, dass das Bohrloch von den Seiten her zufiel und sich die Bohrstangen verklemmten. Das war besonders in den oberen geologischen Schichten an der texanischen Küste problematisch, wo die Bohrmeister mit unzähligen Schichten von Tonerde und Sand zu kämpfen hatten. Seit seiner erstmaligen Verwendung war Bohrschlamm ein unverzichtbarer Bestandteil der Ölförderung, selbst auf den hoch technisierten Offshore-Bohrinseln.
Radleys Roughnecks stürzten sich in die Vorbereitungen wie ein paar muntere, ölverschmierte Piraten. Der Meißel wurde an der ersten schweren Stange befestigt, und der Bohrmeister bestieg den Steuerstand. Der Top Drive drehte sich. Schlamm kreiste. Ein Hauch von Gier hing in der Luft. Ich starrte auf den Bohrturm wie ein Fähnrich in die Segel. Die Sonne war aufgegangen. Ein Hebel wurde umgelegt und der Motor kam auf Touren, die Mitnehmerstange rotierte und der Meißel fuhr durch ein Loch im Drehtisch in den Boden. Der Schlamm quoll aus dem Bohrloch wieder nach oben und durch einen schmalen Graben in eine große Grube, wo er gefiltert und wieder in das Rohr eingespeist wurde. Wir bohrten nach Öl.
Radleys Ausrüstung war auf dem neuesten Stand der Technologie: leistungsstark, mobil und automatisiert. Aufgaben, für die noch vor ein paar Jahrzehnten viele Arbeiter
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