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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Duane.
    »Mittschiffs!«
    Einen Tanker zu lotsen erfordert ununterbrochene Aufmerksamkeit. »Als Lotse das Ruder für mehr als eine oder zwei Minuten zu verlassen, wäre wirklich riskant«, stellte Tweedel klar. Er zeigte auf einen uns entgegenkommenden Lastkahn. »Wenn die auf Grund liefe, müsste ich sofort reagieren. Und das wäre nicht das erste Mal.«
    »Wir werden für das Risiko entschädigt«, erklärte Duane. Als Lotse verdiente man nicht schlecht.
    Tweedel schaute prüfend in den trüben, wolkenverhangenen Himmel. Die Lotsen waren auch dafür zuständig, bei schlechter Sicht den Tankerverkehr im Kanal zu stoppen. Heute waren die Bedingungen gerade gut genug.
    »Wenn es drei, vier Tage lang neblig ist, schreien die Leute nach ihrem Rohöl«, meinte Tweedel. Wird die Ölversorgung unterbrochen, müssen die Raffinerien unter Umständen die Produktion herunterfahren – und das kostet. Auf den Lotsen lastete daher ein hoher Druck, den Verkehr aufrechtzuerhalten.
    »Wir wollen den Jungs von der Industrie keine Knüppel zwischen die Beine werfen«, sagte Tweedel, »aber wir sind Motiva oder Total keine Rechenschaft schuldig.«
    Mit einer ungeheuren Wucht schoben wir uns voran, eine schwimmende Maschine, so lang, wie ein Wolkenkratzer hoch ist. Ich sah zum Rudergänger hinüber. Er hielt ein halbkreisförmiges Ruder in der Hand, das ein bisschen aussah wie das Lenkrad eines Gokarts. Ich hatte den Eindruck, es wäre sehr leicht, ihn beiseite zu schubsen und das Ruder herumzureißen, wenn ich es darauf angelegt hätte, und so wieder eine Runde ehrlicher Arbeit für nahezu jeden zu schaffen, dem ich in Port Arthur begegnet war.
    »Steuerbord zwanzig«, sagte Duane.
    »Steuerbord zwanzig«, echote der Rudergänger.
    Steuerbord? Hallo, Erde an Duane! Steuerbord? Wenn überhaupt, dann ein wenig backbord.
    »Mittschiffs«, sagte Duane.
    »Mittschiffs«, wiederholte der Rudergänger.
    Und damit änderte unser Seeungeheuer ganz sacht seinen Kurs und fuhr perfekt parallel zum grasbedeckten Kanalufer.
    Duane übergab Tweedel das Kommando und trat ans Fenster. Ich erzählte ihm, dass ich gerade das Spiel »Einen Supertanker fahren« gespielt und immer verloren hatte.
    »Es ist eher eine Kunst als eine Wissenschaft«, antwortete er. »Man muss die Technik beherrschen, entwickelt dann aber ein Gespür für das Schiff. Ohne das wird man kein guter Lotse.«
    Er nahm mein Notizbuch und zeichnete Diagramme auf, erklärte die Hydrodynamik eines großen Schiffes, das durch einen engen Kanal fährt. Seine Größe hat Einfluss darauf, wie das Schiff in einem so begrenzten Raum reagiert. Wenn es auf einer Seite dem Ufer nah kommt, erzeugt das vom Schiff verdrängte Wasser Druck und einen Sog, die wiederum in Wechselwirkung stehen mit dem immer kleiner werdenden Raum zwischen Schiff und Ufer. Das Schiff spricht darauf an, ist widerspenstiger als auf dem offenen Meer und steuert sich praktisch selbst. Diese Effekte beschränken einerseits die Art und Geschwindigkeit der Navigation, andrerseits erlauben sie der verantwortlichen Person, anhand der Reaktion des Schiffes seine Position in Relation zum Kanal zu erspüren.
    »In diesen Kanälen verhält sich ein Schiff wie ausgewechselt«, erklärte Tweedel.
    Lastkähne mit Raffinerieprodukten, Holzabfällen und Getreide kamen uns entgegen und fuhren vorbei. Wir waren der einzige große Tanker. Der Kanal war nicht breit genug für zwei solche Kolosse, deshalb wurde ihr Kommen und Gehen über einen Zeitplan geregelt. Aber sogar die Bewegungen kleinerer Schiffe mussten sorgfältig koordiniert werden, um eine sichere Passage in solch beengten Verhältnissen zu gewährleisten. Tweedel und Duane überwachten also auch den Verkehr, prüften jedes entgegenkommende Schiff, gaben ihm Befehle und handelten aus, welche Manöver das andere Schiff und die Pink Sands bei der Begegnung ausführen würden.
    »Ich könnte ein bisschen was von dem Wasser da gebrauchen, Käpt’n«, schwatzte Tweedel einen herannahenden Schlepper über Funk in Position.
    Wir fuhren unter der hohen, hässlichen Brücke durch, die Pleasure Island mit West Port Arthur verbindet, und steuerten Port Arthur an. Links zog die Valero-Raffinerie vorbei, grandios im Nebel. Die Sabine-Lotsen sollten Touren im Hafengebiet anbieten. Eine Flasche Champagner, ein paar Erdbeeren, und niemand müsste mehr in einen Heißluftballon steigen.
    Rechts erkannte ich die Betonplatte, auf der Nelson und ich geangelt hatten. Er hatte mich Anfang der Woche

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