Willkommen im sonnigen Tschernobyl
angerufen, eine fröhlich-unverständliche Nachricht hinterlassen und mich für den Abend vor meiner Fahrt mit den Lotsen zum Abendessen eingeladen. Er hatte immer noch meine Ölpestfische im Gefrierfach. Wir grillten sie als Alufolienpäckchen in seinem Vorgarten, neben dem Kipplaster, und aßen die dampfenden und saftigen Fische, die kein Öl mehr benötigten, mit Reis und Tortillas als Beilage.
Wir hatten Port Arthur erreicht.
»War hier nicht im Januar der Unfall?«, fragte ich.
»Jawohl«, sagte Tweedel. »Es war genauso ein Schiff wie dieses.« Auf der Brücke wurde es plötzlich still.
Tweedel und Duane hatten Erfahrung, liebten ihren Beruf und waren sich seiner Bedeutung bewusst. Aber jedes System, das auf einem hohen Maß an menschlichen Fertigkeiten beruht, ist naturgemäß anfällig für menschliches Versagen. Einige Monate später zeigte die Regierung mit dem Finger hauptsächlich auf die Sabine-Lotsen, als sie die Ergebnisse der Ermittlungen im Fall der Ölkatastrophe von Port Arthur bekannt gab. Namentlich der Cheflotse an Bord der Eagle Otome hatte unter der Brücke zu spät begonnen, den Kurs zu ändern und die daraus resultierende Kursabweichung dann nicht korrigiert, woraufhin der Tanker in einer großen Ausweichbewegung letztlich mit dem am Kai liegenden Schiff kollidierte. Der Bericht der Regierung erkannte weitere Faktoren an, aber die deutlichste Schuld trugen ihm zufolge die Lotsen. Im Endeffekt war es also tatsächlich schlicht und einfach menschliches Versagen gewesen.
Ich ging backbord an Deck, eine Stahlplattform, die neben dem Steuerhaus hoch über das Wasser ragte. Es hatte aufgehört zu regnen, der Himmel war jedoch bedeckt und ein laues, leicht ranziges Lüftchen wehte. Vorher war die Luft voller Vögel gewesen, ein Schwarm Pelikane, der gerade eben außer Reichweite über dem Tanker kreiste, und einige Bonapartemöwen mit schwarzen Köpfen, die hinter dem Schiff herumtollten. Das Kielwasser, in dem vom Boden aufgewirbelte Leckerbissen schwammen, locke sie an, erklärte Duane.
Und so tuckerten wir voran. Eine halbe Million Barrel Öl, die mit einer Geschwindigkeit von sieben Knoten ins Landesinnere befördert wurden, begleitet von einer Schar tanzender Vögel. Genug Erdöl, um den Bedarf der Nation für ganze vierzig Minuten zu decken.
*
Früher führte ein Schild Touristen zu einem Aussichtspunkt, von dem aus sie Spindletop überblicken und bei genauem Hinsehen in der Ferne auch den Ort erkennen konnten, an dem einst der Lucas-Gusher ausbrach. Doch dann blies ein Hurrikan das Schild um und niemand stellte es wieder auf. Für Durchfahrende ist Spindletop ein unbekannter Raum, ein flacher, baumbestandener Streifen neben dem Highway – unbeachtet selbst in der Gegend, deren Wohlstand dort einst begründet wurde.
In all seiner Unauffälligkeit birgt das Stück Land zwischen dem Sulphur Drive und der West Port Arthur Road ein Geheimnis: Der Ölrausch auf dem Spindletop ist nicht vorbei. Noch nicht ganz.
Steven Radley heißt der »Last Man Standing«. Über hundert Jahre und 150 Millionen Barrel Öl, nachdem Patillo Higgins’ Ahnung wahr wurde – und ein halbes Jahrhundert, nachdem die großen Unternehmen das Land sich selbst überlassen hatten –, tut dieser Mann alles, um dem widerspenstigen Erdboden den letzten Tropfen Öl abzuringen.
Wir trafen uns im Dämmerlicht kurz vor Tagesanbruch bei ein paar großen, gedrungenen Öllagertanks. Radley war ein jungenhafter Fünfzigjähriger, das Gesicht zerfurcht von der jahrzehntelangen Arbeit auf texanischen Ölfeldern. In seinem Truck rumpelten wir die Wirtschaftswege entlang, die in Spindletop als Straßen gelten, und ich fragte ihn über das neue Bohrloch aus. Würde es dort womöglich zu einem neuen Blowout kommen?
»Ich hoffe nicht!«, sagte er lächelnd. »Das wäre für zehn Minuten ein Spaß. Und dann müssten wir sauber machen.«
Er plante eine Bohrung bis zu einer Tiefe von 380 Metern, dicht an die Gesteinsschicht über dem in Spindletop geologisch dominanten Salzstock heran. An den Rändern dieses riesigen unterirdischen Salzdoms hatte sich über mehrere Zeitalter Öl gesammelt. Das neue Bohrloch sollte eine ähnliche Tiefe haben wie das berühmte Lucas No. 1, aber es würde Öl bestimmt nicht billiger als Wasser werden lassen oder die Ölproduktion des ganzen Landes übertreffen. Als ich Radley fragte, was das neue Bohrloch denn sein würde, wenn nicht ein Blowout, verzog er das Gesicht. »Wahrscheinlich nichts
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