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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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etwas nachlässig war, dann nur, weil er sein Team kannte und ihm vertraute. Das Wichtigste war seiner Meinung nach, dass er das Bohrloch persönlich managte.
    »Bei den großen Bohrlöchern sitzt der Pusher in einem Bau container vor Monitoren, die ihm den Druck, die Bohrgeschwindigkeit, Temperatur und Meter pro Minute und was weiß ich anzeigen«, sagte er. »Er sitzt nur da und schaut auf die Bildschirme.«
    Er schüttelte den Kopf. »Für mich ist das kein Bohren, sondern Bullshit .«
    Abschnitt für Abschnitt verschwand der Bohrstrang in der Erde, und wir fingen an, uns zu langweilen. Also sprangen Radley und ich in seinen Truck und machten eine Spritztour über das Gelände. Seit er 15 war besaß er Bohrlöcher in der einen oder anderen Form, als ihn sein Vater ermuntert hatte, in eines zu investieren. Auch dieser hatte seine eigenen kleinen Bohrlöcher, die er am Wochenende und nach der Arbeit als selbstständiger Elektriker betrieb, und Radley war schon als kleiner Junge zum Helfen mitgegangen. In dieser Welt der kleinen Ölunternehmen erschien es völlig einleuchtend, dass ein Jugendlicher eine Beteiligung an einem Bohrloch kaufte, und ebenso normal war es, dass ein Familienbetrieb die Mineralgewinnungsrechte an dem Ölfeld besaß, von dem aus die Erdölrevolution ihren Lauf nahm.
    Das Problem mit den versiegenden Ölquellen ist, dass man nur schwer feststellen kann, wo sich die Förderung noch lohnt und wo nicht. Wir fuhren an einem nahe gelegenen Bohrloch vorbei, aus dem kein Öl mehr kam; 25 Meter weiter lag eines, das täglich vier oder fünf Barrel Öl einbrachte – und fünfzig Barrel Wasser. Der kleine Pferdekopf der Pumpe schaukelte träge auf und ab, als wir vorbeifuhren. Radley erzählte mir, dass sich genau auf der anderen Seite ein Loch befand, das noch weniger Öl hervorbrachte, dafür aber mehr Wasser. Das Gebiet war überall zerklüftet. Der Erdboden bewegte sich nach wie vor. Es war unmöglich, genau zu sagen, wo das Öl war, in welche Richtung es sickern würde und wo sich Hindernisse befanden. Sogar aus Lucas No. 1 wäre kein Tropfen Öl gesprudelt, wenn man das Loch 15 Meter weiter gebohrt hätte.
    »Oh, ich würde verdammt gern mal in eines dieser Löcher steigen«, sagte Radley. »Wer weiß, was da unten ist.« Nur durch Schlussfolgerungen konnte er sich eine Vorstellung davon zusammenstückeln, was sich am funktionalen Ende seiner Bohr stange, Hunderte oder Tausende Meter unter der Erdoberfläche, abspielte.
    Wir fuhren an weiteren Bohrlöchern vorbei. Radley schätzte, dass er 35 davon auf seinen zwei Spindletop-Grundstücken hatte. Zusammen mit dem, was seine beiden anderen Grundstücke abwarfen, förderte sein Unternehmen etwa hundert Barrel Öl pro Tag. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob das nach viel klang. Wie lief das Geschäft?
    »Ich achte gar nicht mehr auf den Ölpreis. Seit drei Wochen habe ich nicht mehr nachgeschaut.« Aber er konnte ihn natürlich nicht vollständig ignorieren. »Wenn er bei vierzig Dollar pro Barrel läge, würde ich mir schon Sorgen machen. Bei hundert war ich glücklich, aber hallo! Davon lässt sich’s leben. Reich werde ich zwar nicht.« Er kicherte. »Aber ich kann davon richtig gut essen.«
    Wir fuhren zurück zum Bohrgelände, an einem großen Weiher vorbei. »Man kann da drin auf Barsche angeln«, sagte Radley. »Aber sie haben Würmer.«
    Lange hatte Radley das Gebiet fast für sich allein. »Früher waren wir hier die Einzigen. Nur mein Vater, mein Sohn und ich.« Aber in den letzten Jahren hatte sich das Leben auf dem Spindletop verändert. Eine neue Betriebsamkeit herrschte, etwa hundert Menschen arbeiteten dort nun jeden Tag. Die Erdgasindustrie war gekommen.
    Allerdings nicht, um das Zeug aus der Erde zu holen.
    Verrückterweise bestand das eigentliche Geschäft auf dem Spindletop nun nicht mehr darin, fossile Brennstoffe aus der Erde zu holen, sondern sie wieder hineinzutun. Aus verschiedenen wirtschaftlichen und logistischen Gründen müssen die Erdgasunternehmen ihr Produkt in großen Mengen lagern. Höhlen in unterirdische Salzformationen zu graben, ist hierfür eine der besten Möglichkeiten. In den riesigen Salzstock unter Spindletop, an dessen Rändern sich einst so viel Öl gesammelt hatte, wurden nun in über tausend Metern Tiefe Hohlräume mit jeweils mehr als hundert Metern Durchmesser und etlichen hundert Metern Deckenhöhe gegraben. Gaslagerungsunternehmen wollen sie als undurchlässige Lagertanks mit mehreren Milliarden

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