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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Kubikmetern Fassungsvermögen für Flüssiggas nutzen.
    Der Hügel war also ein gigantischer Schichtkuchen, der je nach Tiefe verschiedene Zwecke erfüllte. Die Lagerunternehmen nutzten die unterste Schicht etwa 1 800 bis 760 Meter unter der Erde. Ab 460 Metern begann Radleys Territorium, das war genau die Tiefe, für die er eine Ölförderungslizenz besaß. Und oben befand sich eine letzte dünne Schicht.
    »Sehen Sie die orangenen Zäune da drüben?«, fragte Radley, als wir wieder am Bohrloch waren. »Das sind die Laufställe der Archäologen.«
    Auch die oberen Zentimeter des Spindletop wurden nach Bodenschätzen abgesucht – nach historischen Belegen. Ein Archäologe von der Universität hatte die seiner Ansicht nach vielversprechendsten Stellen für seine Erforschung der frühen Ölindustrie umzäunt.
    »Es ist kein schlechtes Gefühl, Teil der Geschichte zu sein«, gab Radley zu. »Genau hier hat sich die Welt verändert.« Aber mit dem Archäologen lag er im Clinch. Er sei nicht häufig genug zur Ausgrabungsstätte gekommen, um seine Arbeit zu erledigen – und wieder zu verschwinden. Und solange durfte Radley nicht in die abgesperrten Bereiche. Das Verhältnis zwischen den beiden war angespannt.
    »Ich muss da rein und ein Loch bohren«, sagte er, deutlich verärgert. »Ich versuche ja, geduldig zu sein.« Einmal war Radley wegen Wartungsarbeiten an einer Oberleitung in ein umzäuntes Areal vorgedrungen und der Archäologe hatte sich beschwert: Er war wütend, weil die Stelle durcheinandergebracht wurde.
    Radley schüttelte den Kopf, die Lippen aufeinandergepresst. »Ich habe zu ihm gesagt: ›Vor zehn Jahren war ich da schon mit einem Bulldozer drin. Da ist sowieso schon alles durch einander.‹«
    Am frühen Nachmittag wurden die Arbeiten an dem neuen Bohrloch unterbrochen. Aus dem Top Drive sickerte Schlamm, glaube ich, und er musste auseinandergenommen werden. Radleys Vater, ein fröhlicher Mann Mitte siebzig, der aussah, als würde er noch mindestens zwanzig Jahre arbeiten, inspizierte das Gerät, das nun vor ihm auf der Plattform lag. »Dieses Geschäft wäre ja ganz in Ordnung«, murmelte er. »Wenn nur die Pannen nicht wären.«
    Ich ging hinüber zu den Zäunen des Archäologen. BETRETEN VERBOTEN! , stand auf einem Schild. BITTE NICHTS BERÜHREN . Ich schielte über das Schild hinweg in die Geschichte von Spindletop. Hohes Gras wuchs in dem Kiesbett.
    Als ich drei Tage später wieder vorbeikam, wurden gerade die letzten Bohrstangen aus Radleys neuem Bohrloch gezogen. Der Meißel kam erdverkrustet, triefend vor Bohrschlamm, frisch von seiner dreihundert Meter tiefen Reise in die Erde zurück.
    »Wir sind nicht bis dahin gekommen, wohin wir wollten«, sagte Radley. Er hatte das Bohren bei einer Tiefe von rund 350 Metern abgebrochen, dreißig Meter vor dem Ziel. »Wir nehmen an, dass wir durch Gipsspat gebohrt haben, das ging ziemlich langsam. Dreißig Zentimeter pro Stunde oder noch weniger.« Deshalb hatten sie aufgehört.
    Ich wünschte Radley einen fröhlichen »Tag der Erde«. »Ach, der ist heute? Na, Erde haben wir hier reichlich«, antwortete er und zeigte auf den Bohrturm.
    Die Frage war nur, welche Art von Erde. Radley und sein Team warteten auf eine Firma, die in verschiedenen Tiefen im Bohrloch mit Sensoren die Eigenschaften des Bodens und des Gesteins maß und die Wahrscheinlichkeit, dass es Öl hervorbringen würde, ermittelte. (Die Bohrlochmessung war eines der wenigen Dinge, die Radley nicht selbst erledigen konnte.) Dies war der kritische Moment: Auf Basis der Messergebnisse würde Radley entscheiden, ob es sich lohnte, das Loch auszukleiden und mit einer Pumpe auszurüsten, oder ob es sinnvoller wäre, die Verluste im Rahmen zu halten und sein Glück beim nächsten Loch zu versuchen.
    Während die Roughnecks herumalberten und sich Witze erzählten – es war das erste Mal, dass ich sie so entspannt sah –, lehnten Radley und ich an der Ladefläche seines Lkws und warteten darauf, dass die Messungen begannen. Bald war die politische Debatte im Gang, auf die ich seit unserer ersten Begegnung gewartet hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Radley mit der Faust auf den Lkw schlug und brüllte, Obama sei »kein Amerikaner«. Ich werde nicht wiederholen, was er über die Menschen in Afrika sagte, inwiefern sie verantwortlich seien für die Überbevölkerung der Erde. Ich sagte, dort wo ich herkäme, würden Leute, die so redeten, in Teufels Küche kommen. Er lehnte am Lkw und

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