Willkommen im sonnigen Tschernobyl
stieß einen gewaltigen Seufzer aus.
Nachdem das abgehakt war, fragte ich, was nun auf die Ölindustrie zukam. Würden die Vorräte nicht irgendwann zur Neige gehen? Würden seine Enkel ihr Leben noch auf dem Ölfeld verbringen können?
»Im Grunde ist Öl ja eine erneuerbare Energiequelle«, scherzte er. »Wir bekommen es nur zu unseren Lebzeiten nicht mehr mit. Da unten verrottet immer noch jede Menge Mist, der ist nur bisher noch nicht zu Öl geworden.« Aber selbst auf kurze Sicht machte er sich keine Sorgen, dass das Öl ausgehen könnte. »Es wird vielleicht knapper, aber es wird nicht völlig ausgehen. Bisher haben wir noch nicht die Technik, an alles dranzukommen, was da ist, aber die wird sich verbessern. Im Meer gibt es große Ölvorkommen, an die uns die Umweltschützer nicht lassen. Ich liebe diese Leute! Sie sorgen dafür, dass der Ölpreis hoch bleibt.«
Das brachte uns zu der Frage, ob nach dem verbleibenden Öl gebohrt werden sollte. Ich wollte seine Meinung zum Klimawandel hören.
Er holte tief Luft. »Ich glaube, was wir sehen, ist bloß der natürliche Kreislauf der Erde«, sagte er und kickte die pulvrige Erde neben dem Lkw auf. Die Emissionen des Menschen mögen Auswirkungen haben, das akzeptiere er. »Aber nicht so starke, wie die Leute behaupten. Al Gore redet nur Scheiße. Sehen Sie«, sagte er und kam auf den Punkt, »wenn man ein Elektroauto fährt, braucht man immer noch Strom. Was erzeugt den Strom? Öl. Kohle. Und woraus bestehen die Reifen? Das Plastik? Wie kommt es zum Kunden? Alles in der Welt ist von Öl beeinflusst.«
An diesen Punkt kam jeder irgendwann, egal ob er die Industrie der fossilen Brennstoffe feierte oder verurteilte – jeder geht in die Knie vor dem Potenzial der Ölindustrie, Märkte zu erschließen und die Welt mit Energie zu versorgen. In beiden Fällen ist bei der Aufzählung des Ölgebrauchs ein fatalistischer Unterton herauszuhören, die Erkenntnis, wie schwierig es wäre, statt fossiler Brennstoffe etwas anderes als Basis unserer Gesellschaft zu nehmen. Öl ist allgegenwärtig – in der Infrastruktur, der Industrie, unserem Lebensstil – und kann nicht einfach gegen eine andere Energie- oder Rohstoffquelle ausgetauscht werden, so vielversprechend die Alternativen auch sein mögen. Bis es aktiv verdrängt – oder äußerst knapp und damit unbezahlbar – wird, verschwindet das Öl nicht von den Märkten, die es dominiert. Die unzähligen Menschen und Unternehmen des Universums Ölindustrie werden diesen Rohstoff nicht ohne Weiteres aufgeben. Nicht, so lange noch etwas Leben darin steckt.
Vielleicht ist Spindletop also nicht nur ein Relikt der Vergangenheit des Öls, sondern auch eine Vision seiner Zukunft – wie fern auch immer. Vielleicht wird es eines Tages so kommen, dass auf jedem Ölfeld die letzten Bohrlöcher von einer einzigen Familie gemanagt werden. Ein einsamer Ölunternehmer produziert mit eigenem Bohrturm und Bulldozer regionales Erdöl für umliegende Raffinerien. Das ist die Macht des einmal eingeschlagenen Pfades. Man kann eine solche Entscheidung nicht rückgängig machen, sondern muss aus ihr herausholen, was herauszuholen ist.
*
Auf dem Rückweg besuchte ich Lucas No. 1.
Radley hatte mir die Stelle gezeigt: am Ende einer kurzen Schotterpiste, die in einer Sackgasse an einem flachen Teich mündete. Am Ufer stand ein Fahnenmast. Ohne Flagge war er nur ein einsames metallenes Ausrufezeichen auf einem flachen, trapezförmigen Stück Beton. »Hier hat alles angefangen«, hatte Radley gesagt.
Es hatte geregnet und wir waren nicht lang geblieben. Heute war es windig, die Sonne schien und ich hatte Spindletop für mich allein. Ich fuhr die unbefestigten Straßen entlang, bis ich die Wegbiegung fand.
Es war ein friedlicher Ort, das einzige Geräusch kam von dem Fahnenseil, das gegen den Mast schlug. Ich strich mit der Hand über den rauen Betonsockel. Auf einer Seite war eine Metallplakette mit einem winzigen eingestanzten Bohrturm befestigt, aus dem doppelt so hoch Öl spritzte. Ich beugte mich darüber, um die Gravur zu lesen.
SPINDLETOP GUSHER
– LUCAS NO. 1 –
ORIGINALSCHAUPLATZ
Ich kletterte auf den Sockel, umklammerte den Fahnenmast mit einem Arm und schaute über den sumpfigen Teich. Er war durchzogen von Algen oder schwimmenden Grasbüscheln, die vom Wind ans nahe Ufer getrieben wurden. Der Wind trug auch die Geräusche von fernen Zügen herbei, das Scheppern von Tankwaggons, die aneinandergeruckelt wurden. Weiter weg
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