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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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eingesetzt wurden – wie zum Beispiel, eine neue Bohrstange anzusetzen –, konnten nun von zwei Menschen mit einem Top Drive und einer hydraulischen Zange erledigt werden. Doch die grundlegenden Elemente des Drehbohrverfahrens – Bohrturm, Stange, Bohrkopf und Schlamm – waren immer noch dieselben. Anthony Lucas hätte auf einen Blick sagen können, was Steven Radley tat, und warum. Der Unterschied zwischen den beiden ist, dass Lucas überzeugt war, große Ölreservoirs zu finden, während Radley nur noch nach den Überbleibseln bohrte.
    Die meisten Ölunternehmer konzentrieren sich auf die Suche und das Anzapfen von bisher nicht entdeckten oder er schlossenen Vorkommen. Von den Spekulanten, die 1901 Land um Beaumont aufkauften, bis zu den multinationalen Konzernen, die ausgefeilte seismologische Darstellungen der brasilianischen Küste nutzen, war das Ziel in diesem Spiel immer, einen Ertrag zu sichern, der die enormen Vorabinvestitionen rechtfertigte.
    Irgendwann verringert sich jedoch die Ausbeute, und die Kosten des Umbaus und der Wartung bereits existierender Bohrlöcher – ganz zu schweigen vom Ausschachten neuer – übersteigen die sinkenden Erträge. An diesem Punkt verlässt eine Ölgesellschaft das Feld. Nicht erst wenn gar kein Öl mehr fließt, sondern wenn es so wenig ist, dass sich die Mühe nicht mehr lohnt.
    Ein solches Feld übernehmen dann kleinere Unternehmen mit geringeren Betriebskosten oder weniger ehrgeizigen Gewinnzielen. Sie leben davon, ihre Kosten niedrig zu halten und jedwede Technologie und ihren Einfallsreichtum zu nutzen, um aus dem Boden zu pressen, was die großen Konzerne übrig gelassen haben.
    »Ich habe keine hohen Fixkosten«, sagte Radley. »Wir halten alles so billig wie möglich. Günstiger als wir kann man meiner Meinung nach nicht bohren.«
    Er begann, Linien in den Sand zu ziehen, mit denen er die Vorteile gegenüber großen Ölunternehmen aufzählte. Diese beschäftigten CEO s, Manager, Juristen und so weiter. Radleys Unternehmensstruktur war dagegen unkompliziert: Ihm gehörten vierzig Prozent des Betriebs, seinem Vater die übrigen sechzig. Und Radley und sein Vater stellten, im Gegensatz zu den Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern von ExxonMobil zum Beispiel, sowohl das mittlere Management als auch die technische Belegschaft ihres Unternehmens. Sie arbeiteten auf ihrem eigenen Pachtgelände. Radleys Frau leitete das Büro und sein Sohn arbeitete ebenfalls für die Firma. (Die Roughnecks waren freie Mitarbeiter.)
    Radleys zweiter Trick war, durch den Besitz eines eigenen Bohrturms Miete und Kosten für Subunternehmer zu sparen. Normalerweise würde ein kleiner Betrieb dieser Art das Bohren auslagern. Nicht so Radley.
    »Das ist meiner!«, sagte er und zeigte auf den Bohrturm. »Der Bulldozer – auch meiner! Alles hier draußen gehört mir! Deshalb lohnt sich für mich auch ein Fünf-Barrel-Bohrloch. Außerdem machen wir unsere geologischen Forschungen selbst.«
    Durch den Verzicht auf komplizierte geophysikalische Analysen wie seismische Reflexion oder gravimetrische Messungen sparte er Geld. Radleys Methode war einfacher, er demonstrierte sie mir. Er kratzte sich am Kopf, zeigte auf eine Stelle am Boden und sagte: »Das sieht gut aus!«
    Um elf Uhr vormittags waren wir 76 Meter tief und hatten in den Arbeitsrhythmus gefunden. Der Motor des Bohrturms wurde angelassen und das Gestänge sank in den Boden, mal schnell, mal langsam, je nach Art des Sands oder Gesteins, durch die der Meißel mahlen musste. Wenn das Gestänge vollständig hinuntergelassen war, wurde der Top Drive gelöst, eine weitere schwere Stange vom Gestell genommen, senkrecht nach oben gezogen und dann in den Rohrstrang gefädelt. Einer der Arbeiter befestigte den Top Drive wieder, und das Bohren begann erneut.
    Es war keine leichte Arbeit. Die Roughnecks waren ständig in Bewegung, lenkten die neuen Rohre an die richtige Stelle, überprüften, ob sie richtig saßen, spülten überschüssigen Schlamm mit einem Wasserschlauch von der Bohrplattform und bereiteten die nächsten Rohre vor. Radley stoppte die Zeit zwischen den Bohrungen, um zu prüfen, wie effizient seine Arbeiter die Rohre wechselten. »Ungefähr drei Minuten«, sagte er. »Nicht schlecht.«
    Nun hatte Radley die Doppelrolle des »Pusher« (Bohrmanager) und »Company man« (Bohringenieur) – das sind die Leute, die vor Ort dafür sorgen, dass ohne Zeit- und Geldverschwendung gebohrt wird. Und wenn Radley als Pusher

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