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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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runzeln, die Stimme heben und uns sagen musste, dass er als erster Offizier für uns verantwortlich war. Er war persönlich in seinem eigenen kleinen Segelboot nahezu in Regattengeschwin digkeit einmal rund um den Globus gesegelt, über jedes erdenk liche Meer, und hatte sogar schon eine Monsterwelle überlebt. Er war zu gleichen Teilen Jack Sparrow und Han Solo, und wir wären ihm überallhin gefolgt – im Ruderboot über den Pazifik, in kurzen Hosen den Everest hinauf, ohne Schutzanzug durch eine Luftschleuse in die Weite des Alls – solange er nur da war, um uns zu sagen, was wir tun sollten. Man kann tatsächlich ohne Raumanzug im All überleben, würde er erklären. Man muss nur seine Ausatmung kontrollieren.
    Er versprach, er werde das Schiff verlassen, wenn es nicht sicher wäre, und das genügte uns. Er wurde unser nicht nur im Hinblick auf Knoten absolut allwissender Leitstern. Selbstverständlich wurde ein neuer Ingenieur gefunden und auch ein neuer Koch, und in letzter Minute hatten wir dann doch alles beieinander und schließlich, endlich, plötzlich – segelten wir.
    Eine Crew, die mit ihrem Schiff kurz davor ist, sich außer Reichweite der Funknetze zu begeben, beschäftigt sich fieberhaft mit ihren Handys. Ich schrieb meinen Freunden und meiner Familie SMS und postete ein Bild der Golden Gate Bridge, vom Meer aus gesehen. Und ich bekam eines zurück: Meine Freundin Victoria hatte von den Marin Headlands aus fotografiert, wie wir ausliefen. Wir alle sahen uns das Foto an. Es zeigte die Mündung der Bucht, die sich vom Golden Gate aus öffnet. Unser großes Stahlschiff genau in der Mitte des Bildes war auf ein knappes Dutzend Pixel geschrumpft, ein winziger Klecks auf dem himmelblauen Meer.
    Ich sprach ein letztes Mal mit der Frau Doktor. Ich musste ihr etwas versprechen: Dass ich, sollte ich von Bord gespült werden, durchhalten würde.
    »Versprich mir das«, sagte sie. »Versprich, dass du bis zuletzt durchhältst.«
    *
    Die Gespräche über den Großen Pazifischen Müllwirbel folgen meist einem bestimmten Muster. Ein kurzer Erinnerungsblitz, dann ein paar Brocken Fehlinformationen:
    Ach ja! Die gigantische Plastikinsel! So groß wie Texas?
    Es ist keine Insel, sagst du.
    Na ja, stimmt, räumen sie ein. Eher ein Haufen.
    Deine Augen verengen sich zu Schlitzen. Im Ernst, wie soll man im Meer etwas aufhäufen ?
    Erst nach langem Zureden lösen sie sich von dem Bild der Insel, von unsinnigen Vorstellungen darüber, wie Dinge sich stapeln und von Texas. Ernüchtert stellen sie dann die unvermeidliche Frage:
    Und kann man den Müll wieder herausfischen?
    Viele Menschen haben sich darüber schon Gedanken ge macht, es diskutiert und verschiedene Strategien erwogen. Dar aus ist ein breiter Konsens zwischen Wissenschaftlern und Umweltschützern entstanden, den ich an dieser Stelle gerne zusammenfasse:
    Willkommen in der Wirklichkeit.
    Wir sprechen hier vom Ozean. Selbst wenn man davon ausgeht, dass man – wer auch immer das sein soll – einfach ein großes Netz nehmen könne, es den immensen Treibstoffverbrauch wert wäre, dieses Netz Tausende Kilometer über dem Wirbel hin- und herzuschleppen, und es darüber hinaus so etwas wie eine Ausstiegsstrategie gäbe zum Verbleib eines um die halbe Erdkugel reichenden Netzes voller Müll … angenommen, diese unmöglichen Voraussetzungen wären erfüllt, dann bliebe immer noch das unlösbare Konfettiproblem.
    Liegt ein Plastikgegenstand jahrelang im Wasser, wird er durch die Sonne spröde. Die Wellen brechen ihn nach und nach in immer kleinere Stücke, bis er schließlich zu Konfetti wird und damit zum größten Problem im Zusammenhang mit dem Müllteppich. Netze und andere größere Gegenstände mögen Meerestiere strangulieren, Flaschendeckel und Einmalbesteck die Mägen von Baby-Albatrossen füllen, aber das Konfetti greift auf einer grundlegenderen Ebene in das Ökosystem ein. Da es wie Nahrung konsumiert wird, besteht die Gefahr, dass es Giftstoffe am Anfang der Nahrungskette einführt, die sich im Lauf der Kette konzentrieren und am Ende bei großen Tieren wie Thun fischen und Menschen landen. 2009 fanden Forscher der Scripps Institution of Oceanography (zum Teil vom Kaisei-Projekt finan ziert) bei nahezu einem Zehntel aller Fische aus dem Müllwirbel Plastik im Magen. Sie schätzten, dass diese Fische jährlich Zehntausende Tonnen Plastik fressen.
    Das ähnelt sehr stark dem, was in Tschernobyl geschah: Die Radionuklide gingen denselben Weg wie

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