Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Nährstoffe, wurden von der Vegetation und vermutlich auch von Tieren aufgenommen. Wie die Journalistin und Autorin Mary Mycio schrieb, ist in Tschernobyl »die Strahlung nicht mehr ›in‹ der Zone, sondern sie kommt ›aus‹ der Zone«. Vielleicht können wir inzwischen über das Plastik in den Meeren schon dasselbe sagen. Es ist nicht nur eine Tatsache, sondern Bestandteil des Lebens.
Wie soll man das also herausfischen? Wie eine Milliarde großer und kleiner Stücke des Ozeans aus dem Ozean sammeln? Mit einem riesigen Kaffeefilter? Und wie vermeidet man dann, dass man auch jeden Wal, jeden kleineren Fisch und das Plankton aussiebt?
Es überrascht also kaum, dass die Organisationen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, sich eher nicht mit Säuberungsprojekten aufhalten. Die unter den aufkommenden Forschungen zum Müllteppich führende Algalita Marine Research Foundation von Charles Moore zum Beispiel, tendiert zu einer »Bürgerwissenschaft«, die sich auf die Ursprünge der Wissenschaft als eine von Amateuren begründete Disziplin zurückbe sinnt. Anstatt über Müllsammelaktionen zu spekulieren, verfasst sie von Experten geprüfte Forschungsberichte für Fachzeitschriften wie das Marine Pollution Bulletin. Moore hat bereits öffentlich über die Aufräumidee gespottet. Bei David Letterman schmetterte er eine in diese Richtung zielende, hoffnungsvolle Frage des Moderators ab: »Nicht die geringste Chance.« (Letter man fand Moores Perspektive »trostlos« und schlug vor, doch mal zusammen einen trinken zu gehen.) Andere Organisationen konzentrieren sich darauf, in weiteren Meereswirbeln der Welt Müllteppiche zu finden oder ein Bewusstsein für den übermäßigen Gebrauch von Plastik zu schaffen, um ihn dadurch möglicherweise zu reduzieren.
Das Kaisei-Projekt ist also etwas Besonderes und »Erfassen des Plastikwirbels« mehr als nur ein Motto – es ist das in drei Worten gefasste Ziel der Mission. Nicht zufrieden damit, gegen die Windmühlen zu kämpfen, das Plastik von vornherein aus den Meeren fernzuhalten, hat Kaisei sich entschieden, es mit der größten Windmühle von allen aufzunehmen: einen Weg zu finden, den Müll zu entfernen.
Die treibende Kraft hinter dem Projekt ist Mary Crowley, eine nicht mehr ganz junge Frau, die beim Lachen gern die Zähne zeigt und einen unerschütterlichen Glauben im Hinblick auf die Meeresreinigung besitzt. Sie geht sogar so weit, sich das Plastikeinsammeln auf See als neuen Berufszweig vorzustellen. »Ob man nach Plastikteilen fischt oder nach Fischen macht eigentlich keinen Unterschied«, sagte sie an die Steuerbordreling der Kaisei gelehnt. »Unglücklicherweise haben wir die Meere überfischt. Für die Fischer wäre es doch sicher eine wunderbare Beschäftigung, an der Reinigung des Ozeans beteiligt zu sein, den Fischen wieder einen gesünderen Lebensraum und die Erholung ihrer Bestände zu verschaffen.«
Wir können nur hoffen, dass die Fischereiindustrie eines Tages durch das alternative Fischen nach Plastik gerettet wird. (Ein Antrag auf Subventionierung der Fischer und ihres Müllsammelns ist tatsächlich in der EU im Umlauf gewesen.) Auf jeden Fall kann man festhalten, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts, als alle anderen glaubten, es sei unmöglich, das Meer vom Plastik zu befreien, das Kaisei-Projekt für diesen Traum die Fahne hochhielt. Mögen sich seine Hoffnungen erfüllen.
Die aktuelle Mission hingegen erfuhr praktisch von Anfang an immer mehr Einschränkungen. Ursprünglich gab es Pläne für zwei rasch aufeinanderfolgende Reisen sowie einen kurzen Pressetrip von Hawaii aus, bei dem es zu einem Treffen mit der Kaisei im Müllwirbel kommen sollte. Mary hatte mir gegenüber sogar davon gesprochen, einen Lastkahn aus dem Wirbel zu bergen und Fischerboote anzuwerben, mit deren Hilfe gewaltige Abfallmengen gehoben werden sollten.
Diese Ideen hatten sich in Luft aufgelöst und damit das Expeditionsvorhaben reduziert. Das Ziel war nun, anhand der von Wissenschaftlern der National Oceanographic and Atmospheric Administration ( NOAA ) und der University of Hawaii erstellten Strömungsmodelle die Gebiete mit den größten Plastikvorkommen zu lokalisieren, erklärte Mary mir. Durch den Abgleich unserer Beobachtungen mit den Modellen wäre es möglich, effektive Strategien zu entwickeln, um das Plastik zu finden – eine entscheidende Voraussetzung für spätere Reinigungsaktionen. Man stelle sich das einfach als Fischereiforschung für die zukünftigen
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