Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
Vom Netzwerk:
ausgedehnt ist. Der Groß teil unserer Galaxis ist leerer Raum. Man könnte ihn durchqueren, ohne je auf einen Stern oder Planeten zu stoßen. Das massereichste, mit bloßem Blick erkennbare Objekt im Universum ist überwiegend nichts.
    Beim Versuch, eine Galaxis zu erforschen, würde man sich schwer für die Leere zwischen den Sternen interessieren: Ist da tatsächlich nichts? Inwiefern ändert sich die Verteilung der Sterne, wenn man sich durch die Spiralarme bewegt? Auf diese Weise könnte man allmählich eine Vorstellung von der Form, Struktur und Größe der Galaxis bekommen. (Anmerkung: Diese Galaxis ist um ein Vielfaches so groß wie Texas.)
    Ähnlich sieht es mit dem Müllwirbel aus: Hätten wir Proben herausgezogen und echte Daten gesammelt, wäre ein Abschnitt ohne genauso interessant gewesen wie einer mit Plastik – nicht zuletzt, weil es so schwierig ist, den Müllwirbel zu erreichen. Wie viele Forschungsreisen mit der Absicht, die Meeresabfälle zu studieren, wurden bisher dorthin gemacht? Die Leute von Algalita sagen, ungefähr ein Dutzend. Der vorhandene Datenbestand ist daher sehr klein und über Wesen und Dynamik des Wirbels ist derart wenig bekannt, dass es mir fahrlässig vorkam, sich auf die Suche nach der höchsten Müllkonzentration zu versteifen. Doch genau das taten wir. Und wenn wir hier waren, um die Säuberungsmethoden zu testen – sollten diese denn nicht auch in weitläufiger verschmutzten Gebieten anwendbar sein? Wir ließen uns die Gelegenheit entgehen, die Wissenschaft ein Stück voranzubringen.
    Dabei hatte sie das bitter nötig. Einige Stunden Bugwache genügten, und jedem einigermaßen nachdenklichen Leicht matrosen kamen unzählige Fragen. Wo waren zum Beispiel die Plastiktüten? An Land wurde der Müllwirbel häufig mit Einkaufstüten aus Plastik in Verbindung gebracht. Doch wir sahen keine. Schwammen sie unter Wasser? Oder hatten sie sich in kleine Teilchen zersetzt? Befanden sie sich vielleicht alle im Westlichen Müllwirbel Richtung Japan? Oder war es bloß ein Mythos, dass die Tüten bis zum Wirbel gelangten?
    Und was war mit dem Zeug, das wir sahen? Woher stammte es? Bei den meisten Dingen konnte man es unmöglich sagen. Aber es gab mehr Gegenstände mit chinesischen oder japanischen Wörtern darauf als mit englischen und auch nur wenige mit russischen. Nebenbei bestätigte das den Eindruck, der Östliche Müllwirbel bestehe vor allem aus Müll vom westlichen Pazifikraum. Vielleicht beheimatete der Westliche Müllwirbel, der böse Bruder des Wirbels, in dem wir uns befanden, das Material von den Küsten der USA und Kanadas. Wenn wir noch dreitausend Meilen weitergesegelt wären, hätte ich vielleicht all die Capri-Sonnen-Tüten gefunden, die ich in der sechsten Klasse geleert hatte.
    Es war schwierig, auch nur ungefähr zu sagen, ob der Müll, den wir sahen, vom Land oder vom Meer stammte. Die Faustregel ist, dass drei Viertel des Plastiks im Meer vom Festland kommen. Das hat sich an Orten wie dem Kamilo Beach in Hawaii bestätigt, der den südwestlichen Ausläufer des Müllwirbels berührt: Dort dominieren Feuerzeuge, Zahnbürsten und Kämme. Doch bei dem meisten, das wir an Bord der Kaisei sahen, war die Herkunft schwer zu ermitteln.
    Welche Faktoren bestimmten, was wir sehen konnten? Wie beeinflusste zum Beispiel Dichte und Form eines Gegenstands, ob er an der Oberfläche schwamm und welchen Weg er durch den Wirbel nahm? Wie alt waren die Objekte, die wir sahen? Wie giftig? Wie war das Verhältnis großer Gegenstände zum Konfetti? Gab es Partikel, die kleiner waren als das Konfetti, ein noch unbekanntes Reich mikroskopisch kleiner Polyethylenflora? Und, die wichtigste Frage, was bedeutete dies für das Ökosystem?
    Über all das weiß die Wissenschaft bisher wenig und für mein Nerd-Gefühl hätte die Chance, wenigstens eine dieser Fragen beantworten zu helfen, unser weißer Wal sein sollen – ein Wal, der während der gesamten Reise neben uns herschwamm, ohne dass jemand Notiz von ihm nahm. So segelte die Kaisei, mit Ironie im Wind, über den blauen Ozean für die Mission, Bewusstsein, nicht aber Wissen zu schaffen.
    *
    Der Piratenkönig besaß eine Amateurfunklizenz – natürlich. Schließlich hätte er ein Funkgerät aus einer alten Dose und einer Streichholzschachtel bauen können – unter Wasser, während er MacGyver mit den Füßen stranguliert. Bei seinen Fahrten rund um den Globus hatte er ein Netz von Funkkontakten an Land aufgebaut, mit Kollegen, die

Weitere Kostenlose Bücher