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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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leben kein bisschen natürlicher als wir zivilisierten Weißen«, schrieb Muir. »Das Schlimmste ist ihre Unreinlichkeit. Nichts wirklich Wildes ist unrein.«
    Die amerikanischen Ureinwohner wurden mit der Gründung des Nationalparks aus dem Yellowstone-Gebiet vertrieben. Seit Tausenden von Jahren hatten Menschen dort gelebt, wo nun der Park sein sollte, doch ihre Jagdpraktiken und das kontrollierte Abbrennen waren mit dem Bild der vom Menschen unantastbaren Natur nicht vereinbar. Hätte man den Ureinwohnern erlaubt zu bleiben, hätten sie den Naturgenuss der Weißen gestört. Die Schaffung des Yellowstone machte die Vorstellung offiziell, dass Menschen keinen Platz in einer geschützten Wildnis haben – außer sie sind Touristen.
    Das führt dazu, dass manche Orte, die wir für besonders ursprünglich und wild halten, in mancher Hinsicht zutiefst künstlich sind. Ein bekannter Park wie der Yellowstone wird wahrscheinlich mehr kontrolliert und gemanagt als das Sperr gebiet in Tschernobyl. Auch Parks mit geringerem Besucherandrang als Yellowstone oder Yosemite basieren auf Vorstellungen und Gesetzen, in denen die Menschen nicht zur Natur gehören.
    Diese willkürliche Trennung zwischen dem Natürlichen und dem Unnatürlichen durchdringt unser Weltverständnis. Produzenten wollen die Natur vielleicht beherrschen und Umweltschützer sie bewahren, aber beide Lager gründen auf demselben Dualismus – einer Auffassung von der Natur, zu der die Menschen keine echte Verbindung und in der sie keinen Platz haben. Und dieser Dualismus ist schädlich, selbst wenn er die Form von Verehrung annimmt. Er hält uns davon ab, einen robusten engagierten Umweltschutz zu verfolgen, dessen Grundlage mehr ist als eine vage Sehnsucht nach einer Zeit vor dem Sündenfall.
    Doch wir hängen so fest an dem Ideal einer isolierten perfekten Natur, dass es einer Asphaltierung des Garten Eden gleichkäme, dieses Ideal aufzugeben. Ich traf mich mit dem Autor und Wissenschaftler Paul Wapner, dessen Ideen ich hier klaue, und er sagte, ein Kollege habe ihm davon abgeraten, sein Buch zum Thema, Living Through the End of Nature (Leben nach dem Ende der Natur), zu veröffentlichen. Der Kollege glaubte, es sei schlecht für Wapners Karriere, und dass jeder, der das Konzept der Natur für nicht mehr sinnvoll halte, seinen Kopf aufs Spiel setzte.
    Dabei haben wir schon alles aufs Spiel gesetzt. Wir sind nur so begeistert von dem Konzept der unberührten Natur, dass wir die Fakten ignorieren. Die Umwelt steht nicht am Rand von irgendetwas, sie ist längst einen oder schon mehrere Schritte darüber hinaus. Vor über zwanzig Jahren wies Bill McKibben auf die simple Tatsache hin, dass es keinen vom Menschen unberührten Flecken Erde mehr gibt. Es ist an der Zeit, nicht mehr so zu tun, als sei das Anthropozän noch nicht angebrochen, ein neues Erdzeitalter, das gekennzeichnet ist durch einen massiven Artenverlust (schon erledigt) und den Klimawandel (in Arbeit).
    Doch der Traum von der Natur ist uns so sehr ans Herz gewachsen, dass daraus aufzuwachen wie Verrat erschiene. Der Eindruck, noch nicht über den Rand des Abgrunds hinaus zu sein – noch nicht ganz –, motiviert uns zu unseren rituellen Waschungen, unseren Spenden, unserem Recycling, unserer Hoffnung. Aber damit belügen wir uns ganz gewaltig. Unsere Aufgabe ist nun vielleicht, nicht die Fantasie einer isolierten reinen Natur aufrechtzuerhalten, sondern zu sehen, dass wir durch und durch ein Teil der neuen, nach wie vor lebendigen Natur sind. Nur dann können wir sie, und uns, erhalten.
    Wir suchten die übrigen Holzfäller. Der Lkw ließ uns an einer großen, schlammigen Lichtung aussteigen, um die herum ein Dutzend mächtiger, gefällter Bäume gestapelt war. Motoren- und Sägegeräusche erfüllten die Luft. Die Lichtung diente übergangsweise als Lagerplatz für die Bäume, die im umliegenden Wald gefällt wurden. Ein Mann mit Kettensäge ging von Baum zu Baum und sägte die Wurzeln ab, während andere Arbeiter – Männer und Frauen – sie vermaßen und kennzeichneten. Ein wütender Säbelzahn-Gabelstapler nahm immer zwei oder drei Stämme auf einmal hoch und ließ sie aufeinanderfallen. Sie landeten mit einem tiefen Donk.
    Nach unserem friedlichen Spaziergang durch den Wald warf dieser Lärm einen um. Um ehrlich zu sein, waren wir wohl ein wenig erschrocken, wie industriell alles vonstattenging. Ich hatte ein nachhaltiges Holzfällerkollektiv mit ein paar netten Leuten und einer guten

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