Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
Vom Netzwerk:
verwandelt sich während der Regenzeit in einen schlammigen Fluss. In den legendären Furchen und Schlaglöchern bleiben die Lkws oft hängen, und können so nur eine Strecke von höchstens 150 Kilometern am Tag zurücklegen. Der BR -163 ist, das kann man ruhig so sagen, eine der beschissensten Hauptstraßen der Welt.
    Immerhin aber ist er eine von nur zwei Straßen, die das Amazonasgebiet von Norden nach Süden komplett durchqueren. Wie der Economist schreibt, verbindet der BR -163 »die ›Kornkammer der Welt‹ mit ihrer ›Lunge‹«, also Mato Grosso – das landwirtschaftliche Kraftzentrum, durch das Brasilien zum zweitgrößten Sojaproduzenten nach den USA aufgestiegen ist – mit den weiten Wäldern Parás. Deshalb gilt dem Highway nicht nur die ganze Aufmerksamkeit der Wirtschaft und des Handels, sondern auch die ernsthafte Sorge von Umweltschützern. Wie Gil betont hatte, bringen Straßen Kahlschlag mit sich. Man fällt nur die Bäume, die man erreichen kann, und macht aus den Urwäldern nur dann Rinderfarmen und Sojabetriebe, wenn man eine Möglichkeit hat, die Erzeugnisse abzutransportieren.
    Ist erst einmal eine Straße da – und sei sie noch so schlecht –, strömt die Zivilisation darüber und drängt weiter in den angrenzenden Wald. Menschen sehen sich gern als Baumeister und Eroberer, dabei verbreiten sie sich eher wie Schlingpflanzen, strecken ihre Ranken aus, formen ein Geflecht und wuchern so lange weiter, bis sich ein alles erstickender Teppich gebildet hat. Satellitenbilder zeigen, dass sich vom BR -163 aus, dort, wo er den Tapajós erreicht, gerodetes Land in dicht und senkrecht zur Straße liegenden Einschnitten kilometerweit in den Wald erstreckt wie die Zähne eines gigantischen Rechens.
    Die Straße endet schließlich in Santarém, am westlichen Ende des Hafenviertels. Und genau hier, keine hundert Meter vom Ende des BR -163, baute das Unternehmen Cargill Incorporated aus Minnetonka, Minnesota sein Soja-Terminal.
    Das Terminal ist Santaréms auffälligstes Gebäude, eine über hundert Meter lange Scheune mit einem riesigen Cargill-Logo auf einer der Metallwände. Ein über dreihundert Meter langes Saatgutförderband erstreckt sich vom Nordende des Gebäudes bis zum Tankerkai im Fluss. An dem Tag, an dem wir mit dem Binnenschiff eines Freundes von Gil daran vorbeifuhren, sahen wir, wie ein Massengutfrachter beladen wurde: Bohnen schossen aus riesigen Fallrohren heraus und Soja-Staubwolken stiegen vom Schiff auf. Am nächsten Liegeplatz flussaufwärts ankerte ein Kreuzfahrtschiff der Holland-America-Line. Es war etwas kleiner als das Sojaschiff und seine Kabinenwand leuchtete blendend weiß. Als Nächstes in der Reihe lag, noch etwas kleiner, ein Holzfrachter, der darauf wartete, dass das Kreuzfahrtschiff den Platz freigab, damit er weiter seine Holzladun gen aufnehmen konnte. Auf einen Blick sahen wir das Kommen und Gehen der drei wichtigsten Wirtschaftszweige am Amazonas: Soja, Touristen und Holz.
    Der Bau des Santarém-Terminals begann 1999 und wurde 2003 abgeschlossen und das, obwohl Cargill die vorgeschriebenen Prüfungen auf mögliche Umweltauswirkungen nicht durchgeführt hatte – weshalb das Terminal mehrere Male vom brasilianischen Gerichtshof für rechtswidrig erklärt wurde. Trotzdem wurde es in Betrieb genommen.
    Für Cargill, das größte private Unternehmen der USA , war der Bau des Terminals ein strategischer Schachzug: Er machte es möglich, Sojabohnen schneller und billiger auf den Markt zu bringen. Soja aus Mato Grosso konnte mit dem Schiff oder über den BR -163 im Lkw nach Norden gebracht und am Terminal in Santarém entladen und gelagert werden, bevor es dann direkt über den Amazonas nach Europa verschifft wurde. Die Existenz des Terminals bot der brasilianischen Regierung folglich einen weiteren Anreiz, den Highway komplett zu befestigen. Und das wiederum bedeutete eine weitere Startrampe für Angriffe auf den Regenwald. (1 500 Kilometer Dschungel-Highway zu asphaltieren, ist allerdings leichter gesagt als getan. Bis jetzt ist das Projekt noch nicht abgeschlossen.)
    Auch für die Bauern in Mato Grosso, die eins und eins zusammenzählen konnten, war das Terminal attraktiv: Wieso sollten sie ihre Ernte zum Terminal schicken, wenn sie gleich die ganze Farm dorthin verlegen konnten? Das Land um Santarém herum war günstig und eine Sojafarm in der Nähe des Cargill-Terminals sparte sowohl Grundstücks- als auch Transportkosten.
    Die Bauern strömten nach Norden. Ein

Weitere Kostenlose Bücher