Willkommen im sonnigen Tschernobyl
und schlägt seine Fäuste auf die Erde. Dann fallen die Amazonasindianer, die Afrikaner und Kroaten auf die Knie und scharren in der Erde. Bald wühlen alle mit den Fingern durch den Boden und halten dann ihre erdigen Hände nach oben.
Da erhebt sich ein mächtiger Sturm. (Die Erde, über die er weht, wird von oben gezeigt.) Michael Jackson ist nun total im Jesus-Modus, hält sich mit ausgebreiteten Armen an zwei knorrigen Baumstämmen fest, um nicht von dem gerechten Sturm weggefegt zu werden, den er heraufbeschworen hat. Und dann – Achtung, jetzt kommt’s – läuft die Zeit rückwärts. Dem Elefanten in Afrika wachsen wieder die Stoßzähne, er richtet sich auf, ist wieder zum Leben erwacht. Michael Jackson und die geknechteten Völker der Erde machen alles wieder gut. Die Welt ist wieder in Ordnung. »Where did we go wrong?«, schreit er. »Someone tell me why!« Die unsinnigen Texte werden mit zusammenfantasierten Bildern kombiniert. Schornsteine saugen die Abgase wieder ein, im Regenwald sehen zwei Holzfäller erstaunt, wie ihre Arbeit wieder rückgängig gemacht wird: Ein massiver Baum wird wie von Zauberhand in die Luft gehoben und wieder auf seinen Stumpf gesetzt. Schnitt zu einer Nahaufnahme von dem entsetzten Gesicht eines Holzfällers und wir erkennen – Gil.
Wir hielten das Video an. Auf dem Bildschirm starrte Video-Gil an dem auf magische Weise wiedererstandenen Baum hinauf. Neben dem Computer stand der echte Gil mit einem spitzbübischen Ich-habs-euch-ja-gesagt-Grinsen auf dem Gesicht.
» AAAGGHH! «, rief er.
Die ganze Woche hatte er erzählt, er sei in einem Michael-Jackson-Video aufgetreten, und wir hatten nie die Möglichkeit in Erwägung gezogen, es könne wahr sein. Schließlich wollte ich ihn auf die Probe stellen – und dann war er da, auf YouTube, in die empörten Zuckungen des King of Pop hineingeschnitten. Der junge Gil Serique, Sohn des Tapajós, mit über zehn Millionen Klicks.
*
Wir durften Cargill besuchen. Es hatte eine Woche Anrufe und E-Mails zu so exotischen Orten wie São Paulo und Minnesota gebraucht, bis sie von unserer Harmlosigkeit überzeugt waren. Wahrscheinlich haben sie nur aus dem Grund eingewilligt, weil wir ihnen erzählten, wir würden einen Beitrag für das amerikanische Fernsehen drehen – was auch stimmte.
Es fühlte sich an wie ein Sechser im Lotto. Wir hatten uns Zugang zur Amazonas-Niederlassung des größten nicht börsen notierten Unternehmens der USA verschafft, dem Verursacher der Sojablase in Santarém. Dies war der Ground Zero der Zerstörung des Regenwalds, ein Streichholz an der Zündschnur der CO 2 -Bombe; dies war – gemessen an Zerstörung von Lebensraum und Klimawandel – der Tempel des Todes.
Oder auch nicht. Adam, der Spielverderber, meint, das könne ich nicht schreiben: Es sei nicht wahr. Das ist das Problem mit seriösen Kollegen – sie sind es einfach immer.
Soja, sagt er mir, ob ich es hören wollte oder nicht, war hier niemals eine entscheidende Ursache für die Abholzung des Regenwaldes, war nie für mehr als ein Zehntel der Zerstörung verantwortlich. Ein mickriges Zehntel! Der Sojaboom in Pará hatte in den Medien und unter Umweltschützern für viel Wirbel gesorgt. Aber wenn man das Amazonasbecken als Ganzes betrachtet, hat Soja nie auch nur annähernd so viel Kahlschlag verursacht wie die Rinderzucht. Sogar Bauern wie Nestor, die Brandrodung betreiben, sind für mehr Abholzung verantwortlich, als Soja es je gewesen ist. Das bedeutet, dass ich wohl eher Nestor die Schurkenrolle hätte geben sollen (auch wenn er nett war und uns Bier für wenig Geld verkauft hat) und mich wohlwollender gegenüber Luiz hätte zeigen sollen, obwohl er herumgetorkelt ist und gebrüllt hat wie ein betrunkener Schwachkopf.
Weshalb dann die Aufregung um Soja? Vielleicht, weil sich Soja in einem so beängstigendem Tempo ausgebreitet hat – und wohl auch, weil die Naturschützer in Cargill ein konkretes Ziel gefunden hatten.
Im Jahr 2006 veröffentlichte Greenpeace einen Bericht mit dem Titel Wir essen Amazonien auf, der das Hauptaugenmerk auf Cargill legte. Der Bericht verfolgte den Weg von Soja, das auf gerodetem Land gewachsen war, über Cargill nach Europa, wo es als Futter für Hühner und Rinder diente, deren Fleisch wiederum in McDonald’s-Restaurants verkauft wurde. Das brachte das Problem höchst eindrucksvoll auf den Punkt. Ein Aktivist, der »J’accuse!« in Richtung eines einzelnen Chicken McNugget rufen kann, ist
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