Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
dazu kommt, wirkt es wie ein Rauchzeichen, eine Warnung, an uns alle gerichtet: Kopf senken, Blickkontakt vermeiden, stets bereit sein, im Salto vorwärts unter dem Schreibtisch zu verschwinden, um Jemimas wildem Zorn zu entrinnen. Einem Gerücht zufolge hat sie an einem solchen Qualmtag mal einen Tacker gegen den Kopf einer Praktikantin geworfen. Das wurde zwar nie bewiesen, aber das sechzehnjährige Mädchen, das den Kopierer bediente, verließ die Firma ziemlich abrupt.
Eine fast greifbare hysterische Atmosphäre liegt in der Luft und färbt sogar auf den normalerweise optimistischen Winston ab. »Mrs Carter, das ist ein gefährlicher Angriff auf unsere Gesundheit!«, ruft er, als wir am Empfang vorbeigehen.
»Gewiss, Winston, ich kümmere mich darum«, verspricht Camilla.
Zielstrebig steuert sie Jemimas Büro an. Aus allen Abteilungen folgen ihr neugierige Blicke. Sie stößt die Tür auf, und eine Rauchwolke quillt hervor, als würde sie den Schlupfwinkel eines Monsters betreten. Das ganze Büro scheint den Atem anzuhalten.
Und plötzlich werden alle gleichzeitig vom unwiderstehlichen Drang überwältigt, in der kleinen Küche gegenüber von Jemimas Büro eine Tasse Tee oder Kaffee zuzubereiten. Wie in einem dieser Wettbewerbe »Wie viele Leute passen in eine Telefonzelle?« kämpfen Sekretärinnen mit den Angestellten aus der Buchhaltung und dem überraschend aggressiven Praktikanten um den besten Beobachtungsposten. Natürlich darf der nicht zu weit vom Wasserkessel entfernt sein, damit sie möglichst schnell Geschäftigkeit vortäuschen können, falls Jemima oder Camilla auftauchen sollten. Ich gebe vor, das einlaminierte Blatt der Personalabteilung mit den Anweisungen »Wie man sich verhalten soll, wenn ein Feuer ausbricht« an der Pinnwand neben der Küche zu lesen.
Unterdessen zischeln sie alle: »Pst.« – »Nein, sei du still.« – »Nein, du. Hättest du nicht ›Pst‹ gesagt, wäre es hier ganz leise.«
Schließlich verstummen sie, um auf erhobene Stimmen in Jemimas Büro zu lauschen.
»Lizzy«, zischt Mel mitten im Küchengetümmel.
»Ja?«, antworte ich sanft und heuchle immer noch brennendes Interesse an den Informationen aus der Personalabteilung.
»Du hast dich heute Morgen mit Camilla getroffen. Was ist los? Geht’s um Randy Jones und diese Jazmeen-Nutte?«
»Ich weiß genauso wenig wie du«, erwidere ich, dankbar, dass die ersten Gedanken der selbstsüchtigen Mel der Firmenpolitik gelten – und nicht den Gefühlen von Randys verlassener Scheinfreundin.
Hinter der geschlossenen Tür erklingt ein dumpfes Geräusch, und alle schnappen nach Luft.
»Glaubt ihr, das war der Tacker?«, wispert Lucy alarmiert.
»Definitiv nicht«, sagt Mel. »Als Jemima vorhin aufs Klo gegangen ist, habe ich alle schweren Gegenstände von ihrem Schreibtisch entfernt. Es war ja zu erwarten, dass dieser Tag gefährlich werden würde.«
»Und was weißt du sonst noch?«, fragt Françoise unter dem Arm des Praktikanten hindurch, der die Poleposition in der Küchentür errungen hat.
»Nichts.« Mel verdreht die Augen. »Aber irgendetwas geht zwischen Jemima und Camilla vor.«
Noch ein dumpfes Geräusch in Jemimas Büro. Diesmal schwört Josh, der Praktikant, gut dreißig Zentimeter größer als wir alle, er würde über der Milchglaswand sehen, wie Jemima kraftvoll ihren Kopf auf den Schreibtisch schlägt.
»Und was macht Camilla?«, fragt Françoise eifrig.
»Das – sehe ich nicht...« Josh reckt seinen Hals noch ein Stück höher.
Jetzt wird die Klinke von Jemimas Bürotür abrupt heruntergedrückt, und die Versammlung in der Küchentür zerstreut sich blitzschnell. Françoise und Lucy machen sich am Wasserkessel zu schaffen, Mel ergreift eine Tasse und prüft penibel deren Sauberkeit. Josh flieht hastig zu seinem Schreibtisch. Zwei verschreckte Assistentinnen ducken sich doch tatsächlich hinter eine Trennwand, so als könnte jeden Moment ein Tacker durch die Luft fliegen.
Aber Camilla taucht mit einem heiteren »Guten Morgen« auf, an das gesamte Personal gerichtet, und schlendert zu ihrem Büro. Jemima lässt sich nur kurz blicken, macht ihre Tür zu und schließt sich wieder in ihrer Düsternis ein. Durch den Korridor schlängeln sich Rauchspiralen.
»Wahrscheinlich ist das kein Zigarettenrauch, sondern Dampf aus ihrem Hexenkessel«, flüstert mir Lucy auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch zu. »Da drin brodeln vielleicht die Augen von Wassermolchen. Aus so was haben die Hexen früher ihre
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