Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
die Kinder bereit sind, Runden auszugeben, haben sie bei Mädelsabenden nichts verloren.
Die Gästeschar der French Bar quillt bis auf die Straße hinaus, stellt Drinks auf Fensterbretter und zündet sich Gitanes an. Da werden viele zerfledderte Albert-Camus-Taschenbücher während enthusiastischer Konversationen geschwenkt, Achseln französisch gezuckt, obwohl vermutlich niemand aus Frankreich stammt. Aber wir alle versuchen ein bisschen je ne sais quoi zu imitieren, und an diesem schönen Abend gelingt es uns vielleicht. Draußen sehe ich Lulu nicht, also zwänge ich mich in die winzige Bar. Wegen der Spiegel an den Wänden wirkt das Gedränge noch intensiver. Aber ich sehe nicht einmal ihr Spiegelbild. Klar, es ist nicht so einfach, Lulu in einer Menschenmenge zu entdecken. Erstens ist sie nur eins siebenundfünfzig groß, zweitens wechselt sie mindestens einmal pro Monat ihre Frisur. Deshalb hält man zehn Minuten lang nach einer blonden Paris-Hilton-Mähne mit Extensions Ausschau, nur um festzustellen, dass sie der androgyne Elfentyp mit dem pechschwarzen Pixie Cut ist. Sie redet sich mit dem Argument raus, das würde sie aus professionellen Gründen machen. Aber man wundert sich natürlich über jemanden, der nicht vier Wochen bei einem Stil bleiben kann. Schließlich finde ich sie in einer Ecke am anderen Ende des Raums. Drei Spiegel reflektieren ihren neuesten Look.
»Hi, Shirley Temple.« Ich rutsche neben ihr in die Nische. »Gefällt mir. Einfach fantastisch.«
»Ja, die Dauerwelle ist wieder in«, erklärt Lulu in einem Ton, als würde sie die Wiederkunft Christi ankündigen, und schüttelt ihre neuen Kupferlocken wie ein dressiertes Pony. Dank ihrer sensationellen Frisur hat sie einen halben Tisch ergattert (eine beachtliche Leistung), außerdem eine Flasche Rose. Dankbar ergreife ich ein Glas.
»Prost, auf die Wiederauferstehung der Dauerwelle, die dich um Jahre verjüngt.« Das stimmt nicht ganz, denn Lulu ist eine dieser zierlichen Elfen, die ohnehin so aussehen, als hätten sie daheim einen Jungbrunnen. Aber sie ist besessen von ihrem Alter, und ich weiß, was sie hören will.
»Im Ernst, glaubst du wirklich, die Locken machen mich jünger? Wie jung genau? Neunundzwanzig? Achtundzwanzig, aus der Ferne betrachtet? Vielleicht bei Kerzenlicht?« Lulu späht in alle Spiegel. Je näher ihr fünfunddreißigster Geburtstag rückt (bis dahin hat sie noch zwei Monate Zeit), umso eifriger versucht sie, wie unter dreißig auszusehen. Nach ihrer Ansicht besitzt jeder, den man für Mitte zwanzig hält, einen Reisepass zu den geheiligten Küsten der Jugend und alle damit verbundenen Privilegien.
»Ich habe dich noch nie jünger gesehen«, beteuere ich. »Vergiss achtundzwanzig, du bist ein Fötus mit Perücke. Ich schwöre.«
»Unsinn«, schnauft sie. »Aber – achtundzwanzig? Wirklich?« Sie wendet sich von den Spiegeln ab und beobachtet, wie schnell ich mein Glas leere.
»Oh, ein beschissener Tag im Büro? Lass mich raten – Randy Jones, deine Desperate-Housewife -Chefin und nicht autorisierte Fotos?« Mitleidig schüttelt sie ihre Locken.
»Also hast du heute Morgen die Hot Slebs gelesen?«
Lulu verdreht die Augen. »Heute Morgen hat jeder die neueste Hot Slebs gelesen. Süße, du hast mir so leidgetan, als ich die Fotos gesehen habe. Aber ist das nicht spannend? Erzähl mir aaaaalles!«
Wie gern würde ich sagen, Lulu wäre nur um mein Wohl besorgt! Aber ich muss leider zugeben, dass sie den Ruf der bestinformierten Friseursalonbesitzerin von Chelsea
genießt und deshalb viele Extratrinkgelder einsackt. Und solange sie die in Wein und Snacks am Clubabend für alte Jungfern investiert, was sie sehr oft tut, finde ich den Deal fair und okay.
»Nun, seine US-Tournee wurde verschoben. Die Versicherung besteht auf einem wöchentlichen Drogentest, sein Manager flippt völlig aus, Camilla hat keinen Überblick mehr. Und Jemima hofft unverhohlen, die Situation würde sich noch zuspitzen, damit sie einen Grund hat, um Cam auszubooten.«
»Was ist mit dem minderjährigen Model passiert? Ist er im Priory Hospital? Wie lange bleibt er dort?« Lulu braucht spezielle Details für ihre Trinkgelder. Mit langweiligen Bürokämpfen zwischen Camilla und Jemima begnügt sie sich nicht.
»Wie sich herausstellte, lag das Model einfach nur im Tiefschlaf und war leicht dehydriert. Keine Überdosis. Also ist in diesem Fall alles bestens. Randy wird in einer Entziehungsklinik behandelt, die Adresse halten wir geheim.
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