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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Bäuchen der deutschen Luftwaffentransporter quollen und den Dörfern und Städten der Islamischen Republik Palästina den Frieden brachten, oder das, was man in Berlin unter Frieden verstand: den Frieden der Gräber und das Schweigen im Angesicht der Roboterwaffe. »Es ist so unheimlich«, flüsterte Benjamin Bernstein, während hinter seinem Rücken die Altstadt von Jerusalem aufging und die deutschen Killermaschinen an der Klagemauer entlangschlichen, im Heiligen Land auf Palästinenserjagd. Und Bernstein ergriff das schwere Heckler & Koch-Neutronenstrahlgewehr, um den Maschinen zu folgen, um im Araberviertel Rache zu nehmen für die Toten Israels, aber da bog der Zeitweg ab und führte ihn wieder in die Gegenwart, wo die Chronosonde an ihrem Tunnel durch die Jahrhunderte baute.
    Die große, altmodische Uhr über der Tür war stehengeblieben, und erst als Valentin sie eine Weile ansah, bewegte sich ihr Sekundenzeiger wieder, ruckartig, nach vorn und dann zurück, unschlüssig, welche Richtung er einschlagen sollte.
    »Ich habe so etwas schon einmal erlebt«, sagte Christina zu Valentin, der soeben feststellte, daß er mit den Blicken die Bewegungen der Uhr kontrollieren konnte, und er sich ein Vergnügen daraus machte, mit den Stunden und Minuten zu spielen. »In Heidelberg«, erklärte Christina dicht an seinem Ohr. »Beim ersten Probelauf des Sondenkomplexes. Es ist schon fünf Jahre her, aber ich erinnere mich genau daran. Ich habe dich gesehen, damals, als ich dich noch nicht kannte. Ich habe dich und mich hier gesehen, hier in diesem Raum, vor dieser Maschine. Unsere erste Begegnung, Valentin. Und gleichzeitig unser Abschied.« Eine Träne erschien auf ihrer Wange und rollte langsam nach oben und versickerte in ihrem Auge. Weitere Tränen erschienen und bewegten sich gegen den Strom der Zeit.
    »Es ist kein Abschied für immer«, beruhigte Valentin. »Nur eine Reise wie viele andere. Ich komme zurück. Ich komme immer zurück.«
    »In dreißig Minuten Realzeit«, rief Professor Garfunkel von den Kontrollen der Chronosonde, »ist der Tunnel ins Jahr 1889 stabil. Bitte, Mr. Valentin, Herr Direktor, machen Sie sich für den Transfer bereit.«
    »Es ist für Valentin ein Risiko«, sagte Doktor Janosz mit blassem ernsten Gesicht. »Als Arzt kann ich es nicht verantworten …«
    »Es ist in Ordnung, Doc«, unterbrach Valentin.
    »Aber Ihre letzte Reise hätte sie fast …« Janosz verstummte unter Valentins Blicken. Resignierend zuckte er die Schultern. »Es ist Ihr Leben.« Er wollte sich abwenden, zögerte dann und wies auf Valentins Brust. »Sie sollten es sich trotzdem noch einmal überlegen. Der Mikrobot in Ihrer Herzkammer … Es könnte zu Komplikationen kommen.«
    »Später. Nach dem Transfer. Dann können Sie mir das verdammte Maschinchen herausoperieren.« Valentin sah zu Bernstein hinüber. »Was ist mit Lohannon?«
    »Lohannon ist kein Problem«, winkte Bernstein ab.
    »Wir sind auf ihn vorbereitet«, fügte Garfunkel selbstzufrieden hinzu. »Er wird kommen, um die Sonde zu zerstören, aber die Sonde läßt sich nicht zerstören, und Lohannon wird fortgehen, in die Vergangenheit, wie er es bereits getan hat.«
    Und wie wir es tun werden, dachte Valentin. Karl von Hutten und ich. Aber nicht, um unser Leben unter dem Einfluß der Retrozeit zu wiederholen, sondern um das Muster der Zeit zu verändern.
    Die Tür glitt auf, und ein Mann in einem UV-Schutzoverall und mit einem Heckler & Koch-Neutronenstrahlgewehr in den Händen meldete mit hartem deutschen Akzent: »Der palästinensische Agent kommt.«
    Hutten nickte. »Ist Lohannon bewaffnet?«
    »Wir haben ihn gescannt. Keine Waffen.«
    »Dann lassen Sie ihn passieren.« Hutten lächelte. »Schließlich ist er bereits hiergewesen.« Er sah sich um. »Wir warten. Wir kümmern uns nicht um Lohannon. Die Zeit kümmert sich um ihn. Wenn er fort ist, beginnen wir mit dem Transfer.«
    Der DND-Agent zog sich zurück. Sie warteten.
    Christina lehnte sich an Valentin, und er legte einen Arm um sie, wie er es oft getan hatte, in den glücklichen Stunden ihres gemeinsamen Lebens, die sich jetzt, während die Kristallmaschine die unsichtbare Brücke ins Jahr 1889 schlug, in einem einzigen Moment zu konzentrieren schienen. Als wären wir nie getrennt gewesen, dachte Valentin. Als hätten wir nur für einen kurzen, flüchtigen Augenblick vergessen, daß wir zusammengehören, daß wir immer zusammen waren. Weil wir eins sind. Nicht in dieser Welt, der Welt der Materie,

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