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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Janosz’ verkrampfter Hand.
    Die DND-Agenten kamen näher, aber langsam, wie in Zeitlupe, viel zu langsam, um ihn an dem zu hindern, was er tun würde. Weil, wie Karl von Hutten es ausgedrückt hatte, weil es Dinge gab, die getan werden mußten, um ihrer selbst willen, ganz gleich, wie hoch der Preis war.
    Valentin griff nach dem Laser und entwand ihn der starren Hand des Arztes, und er fragte sich, ob Janosz – wie Lohannon – Palästinenser gewesen war, oder ob Mohammed ihn gekauft hatte, so wie Karl von Hutten Valentin gekauft hatte.
    Er schob den Lauf des Lasers in den Mund.
    Furchtlos. Er war Reinkarnaut. Er hatte keine Angst vor dem Tod. Das Problem war das Leben, aber das Sterben …
    Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten, dachte Valentin und drückte ab.

 
9
     
    Sie waren da. Alle waren sie da. Bernstein, Garfunkel, Hutten, Janosz – und Christina. Valentin erkannte Christina sofort, selbst hier im raumlosen, zeitlosen, seinlosen Intervall, wo jeder die Maske des Fleisches abstreifte und seine wirkliche Gestalt annahm. Christinas wirkliche Gestalt war Licht, strahlend, rein, weißes Licht, ungebrochen, aber dieses Licht hatte nichts mit dem sichtbaren Licht der physikalischen Welt zu tun, sondern mit ihrem Ich, dem Kern ihres Wesens. Die anderen ätherischen Seelen waren Fixsterne im raumlosen Raum, doch Christina war eine Sonne, um die Valentin kreiste, Zwillingssonnen, durch die Schwerkraft der Liebe aneinander gefesselt. Sie drehten sich langsam um ihre gemeinsame Achse, drehten sich schnell um sich selbst, und mit jeder Drehung schleuderte die Zentrifugalkraft die Bilder ihres gelebten Lebens hinaus ins Intervall. Das Vergessen kam, und mit dem Vergessen die Erinnerung.
    Sie wurden eins.
    Wie sie immer eins gewesen waren, bevor das Leben sie getrennt hatte.
    Deshalb diese Liebe, dachte Valentin, deshalb diese unheilbare, bis zum Grund meiner Seele hinabreichende Liebe … Weil du ich bist, dachte Christina, und ich bin du.
    Gemeinsam zogen sie ihre Bahn durch das Intervall, zwischen den Seelen, die wie Pollen zur Blütezeit in dichten Wolken durch den Äther trieben, in großen Wolken, größer als die interstellaren Nebel aus Gasen und Staub, zahlreicher als die Galaxien in der materiellen Welt. Und fern, am äußersten Rand ihrer Wahrnehmung, wie ein Tagtraum, die Musik der Schöpfung. Die Seelen waren die Instrumente, auf denen die Schöpfungsmusik gespielt wurde, und sie tanzten dazu, tanzten ins nächste Leben.
    Aber da war ein Mißton in der Melodie …
    Eine düstere, unheilvolle Verzerrung, Schatten, die Lebensfunken verdunkelnd. Ein Körper, wo es keine Körper geben durfte; eine Hand, doch nicht die helfende Hand des Zufalls, der den Weg zur Wiedergeburt wies, sondern eine fordernde, gebieterische Hand. Der Sog der Zeit, der Tunnel in die Vergangenheit, ins Jahr 1889. Erneut spürte Valentin den Wind der Veränderung, wie er an ihm zerrte, an ihm und Christina, um sie zu trennen, wie er sie bereits im Leben getrennt hatte, und aus dem Wind wurde ein Sturm und wirbelte sie davon.
    Sie stürzten jetzt.
    Sie stürzten alle: Bernstein, Garfunkel, Hutten, Janosz, Christina, Valentin.
    Es gab keinen Grund, nur den Abgrund der Zeit, der plötzlich im Nichts des Intervalls klaffte, wo es keine Zeit geben konnte. Im Sturz entfernten sie sich voneinander, wie die Bruchstücke eines geborstenen Planeten. Raum breitete sich zwischen ihnen aus, schwarzer Raum, von Sternen durchfunkelt, und in der Schwärze ein schuppiges Ding mit weitgespannten Schwingen, die das Licht der Sterne tranken.
    Ein Schiff, dachte Valentin voll Angst.
    Das Raumschiff, das sich von jenseits der Sonne der Erde nähert.
    Sie waren im Intervall, und gleichzeitig waren sie in der physikalischen Welt.
    Dann sah Valentin auch das Netz, das das Schiff ausgeworfen hatte, und er sah durch die Schuppenhaut des Schiffes in organische Gewölbe, fleischige Röhren, sekretgefüllte Höhlen, Wärme und Leere.
    Leere …
    Das Netz fing Bernstein aus dem Raum und füllte mit ihm die Leere; das Netz fing Garfunkel und Hutten und Janosz und holte sie ins nächste Leben, in einen Mutterschoß, der seit Äonen durch den Weltraum unterwegs war, befruchtet, doch seelenlos. Dann griff das Netz nach Valentin und Christina, klebrig fordernd, daß sie schon sich selbst im rosigen Fleisch des Schiffes spüren konnten, daß ihre Sinne zurückkehrten, nur kurz, in einem grellen Blitzschlag, und sie den Weltraum rochen und das fruchtige Sternenlicht

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