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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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der Täuschung und der beschränkten Wahrheiten, sondern in der realen Welt hinter den Schleiern.
    »Es ist ein Abschied«, sagte Christina furchtsam. »Ich fühle es, Valentin.«
    Er hielt sie fest, voller Angst, denn er spürte es auch, den kalten Wind, den Wind der Veränderung, der über die Ebenen der Zeit pfiff und nach ihnen griff, um sie davonzuwehen, in verschiedene Richtungen. Er stemmte sich gegen den Wind, aber der Boden, auf dem er stand, war kein sicherer Untergrund. Treibsand, in dem er langsam versank. O Gott, dachte er, rette mich. Doch Gott kümmerte sich nicht um die Menschen, nicht um die Welt; Er kam nicht; der Mensch mußte zu Ihm kommen.
    »re tsi aD. nonnahoL«, rief Bernstein.
    »nhi eiS negidelrE«, stieß Karl von Hutten hervor. »leknufraG, gnuthcA«
    Lu Lohannons schmächtige Gestalt tauchte wie ein Schatten im Türrahmen auf, und die Retrozeit schlug wie eine dunkle Woge über sie zusammen. Lohannon huschte auf die Chronosonde zu, aber auf zeitverkehrte, verdrehte Art: rückwärts gehend, fort von der Kristallmaschine, und sich dennoch mit jeder verstreichenden Sekunde der Sonde nähernd.
    Garfunkel lächelte.
    Seine Hand berührte einen Schalter.
    Doktor Janosz sprang vor. »uL, thcisroV«, schrie er.
    Die Kristallmaschine leuchtete auf. Es wurde gleißend hell, und die Helligkeit verschlang die Retrozeit, verschlang Lu Lohannon, schleuderte ihn aus der Gegenwart in die Vergangenheit, die von nun an für Lohannon die Zukunft war.
    »Nein!« schrie Janosz. »Nein!« Eine Waffe blitzte in seiner Hand auf. Bernstein riß entsetzt die Arme hoch, warf sich zur Seite, aber nicht schnell genug, um dem Laserstrahl zu entgehen, der ein feines, blasig gerändertes Loch in seine Stirn brannte. Garfunkel rief um Hilfe, laut und gellend, und alarmierte die Wächter auf dem Korridor, bis der Laserstrahl eine Sengspur über seine Augen zog und er nach hinten kippte, gegen das Kristall der Chronosonde. Die Wächter stürzten in den Raum; Janosz stolperte auf Hutten zu, und Christina sprang ihn an, riß den Arzt zu Boden.
    Aber der Laser in Janosz’ Hand …
    »Christina!« brüllte Valentin.
    … schnitt ihr das Leben aus dem Leib. Der Geruch von verbranntem Fleisch, aber kein Blut, kein Blut. Nur dieser kohlenschwarze Fleck an ihrer weißen Schläfe. Janosz, dachte Valentin. Ich töte dich, Janosz, ich töte dich, ich töte dich … Er machte einen Schritt auf den Arzt zu, die Hände zu Klauen verkrümmt, und Janosz kam halb unter Christinas leblosem Körper hervor und schoß Karl von Hutten mitten ins Gesicht, während die DND-Agenten das Feuer aus ihren Neutronenstrahlgewehren eröffneten und der Arzt sich verkrampfte, als hätte er eine Hochspannungsleitung berührt.
    Stille.
    Valentin kniete neben Christina nieder, und er fühlte nichts. Er barg ihren Kopf in seinem Schoß, und sein Herz war tiefgekühlt, zu kalt, um etwas zu empfinden. Es war, als ob die Zeit stillstünde. Und vielleicht stand sie auch still; die Menschen waren tot, aber die Kristallmaschine war unversehrt, und ihre unsichtbaren Schwingungen webten noch immer an dem Netz, das die Gegenwart und das Jahr 1889 miteinander verbinden sollte, damit Valentin und Karl von Hutten den Weg zu dem ungeborenen Adolf Hitler fanden. Aber Karl von Hutten war tot; er hatte die Reise ins nächste Leben bereits angetreten, und ohne die Hilfe eines Reinkarnauten würde er sich im Intervall verirren und sich selbst vergessen. Der blinde Zufall würde ihm den Weg ins nächste Leben weisen, und die Wiedergeburt würde die Erinnerungen an sein altes Leben auslöschen, als hätte es Karl von Hutten, den Direktor des VEB Elektronik und mächtigsten Mann des Wiedervereinigten Deutschlands, nie gegeben. Und Christina … auch Christina würde vergessen. Valentin zitterte. Ein Leben verschenkt, dachte er. Christina war durch das Tor des Todes gegangen und für ihn verloren. Er fühlte noch immer nichts, nur diese große Leere. Die mich von nun an immer begleiten wird, dachte er. Bis ans Ende meines Lebens, bis ich mich auf die letzte Reise mache, von der es keine Rückkehr geben wird, nur einen neuen Anfang. Aber dann war es vielleicht zu spät. Für immer getrennt, dachte Valentin. Er strich sacht mit den Fingern über Christinas weiße, kalte Stirn, er schloß die Augen und suchte nach ihr, doch alles, was er fand, war ein verklingendes Echo in der schrecklichen Leere seines Lebens.
    Er öffnete die Augen, und seine Blicke fielen auf den Laser in

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