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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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die Nerven dafür gehabt. Und Will hatte gelernt, wenn er allein mit Dr. Linniman oder dem kleinen, bärtigen Heiligen persönlich sprach, nicht zu jammern, sondern Genesung vorzutäuschen. Entweder das – oder er würde in Milch ertrinken und an Trauben elend zugrunde gehen. Sein Vater hatte erklärt, er könne so lange bleiben wie nötig – in der Firma in der Water Street hatte er längst einen Ersatz für ihn gefunden, und außerdem war Wills Stellung dort eine rein symbolische gewesen –, und Eleanor zeigte nach einem immerhin halbjährigen Aufenthalt noch keinerlei Neigung abzureisen. Und so war er immer noch hier, in Battle Creek, und zahlte eine monatliche Pensionsgebühr an die Kelloggsche Schatzkammer, die jede südamerikanische Kolonie in den Ruin getrieben hätte, und dabei verbesserte sich sein Zustand mit glazialer Geschwindigkeit. Er hatte ausgerechnet, daß die Flamme erlöschen würde, bliebe er bis in die zwanziger Jahre im Sanatorium (wenn er sie nicht mit Schnaps, Zigarren, Kaffee und Porterhousesteaks neu entfachen würde – und das Leben hätte keinerlei Sinn, wenn er diesen Dingen für immer abschwören müßte), daß er dann jedoch weniger als bei seiner Geburt wiegen würde. Es handelte sich um ein echtes Rätsel, und er grübelte darüber nach und versuchte, mit der Zunge einen widerspenstigen Krümel Kleie-Nuß-Plätzchen hinter den Backenzähnen hervorzuholen, als Eleanor in Begleitung von Dr. Frank Linniman den Raum betrat.
    Eleanor war mit einer Gruppe von Enthusiasten länger im Großen Empfangsssaal geblieben, um sich über des Doktors Vorführung auszutauschen, und Will war allein hinausgegangen, um hier unter den gezackten Wedeln zu warten und seine Langeweile in den widerlichen Tee zu tauchen wie ein Stück altbackenen Brots. Sie kam jetzt mit raschelnden Röcken auf ihn zu, wobei sie glucksende, gurrende Laute ausstieß, die ihm unangenehm waren, und sie schwärmte schon wieder von irgend etwas -Tonscherben, Schädelknochen, irgendeine Expedition, die sie mit Frank, dem hochgeschätzten Frank, plante, der lächelnd neben ihr stand. »Nur für einen Vormittag und einen Nachmittag«, sagte sie atemlos, blickte in Wills Augen und sah sofort wieder weg, als wüßte sie bereits, daß sie dort nichts Bemerkenswertes entdecken würde. »Virginia Cranehill kommt auch mit. Und vielleicht auch Lionel.«
    »Expedition?« wiederholte er, aber sie hatte sich längst abgewandt, in Beschlag genommen von einer aufgeschwemmten Frau in gelbem Taft, die zufällig in Milwaukee ihren eigenen Tief-Atem-Club gegründet hatte und die sich zum glücklichsten Menschen der Welt erklärte, wenn sie in Eleanors Gruppe aufgenommen würde. Ein nochmaliges Röckerascheln, und sie waren verschwunden. Will war allein mit Linniman. Mangels Alternative bedachte er ihn mit einem halben Lächeln.
    Linniman musterte ihn mit professionellem Blick. »Sie sind ja in letzter Zeit schwer auf Draht, was?« fragte er. »Liegt wohl an der neuen Diät?«
    »Am Essen, meinen Sie?« sagte Will. »Ja. Klar. Es hat sich für die menschliche Ernährung als ratsam erwiesen, sogar als ganz unerläßlich, nicht wahr? Zumindest behaupten das die Forscher und all die Leute, die im Gesundheitswesen tätig sind.«
    Linniman schluckte den Köder nicht. Er lächelte nur und nickte, sein Atem ging mühelos, seine Züge waren gefaßt, mit den Gedanken war er woanders. Will verspürte plötzlich den Drang, ihm die Faust in die physiologischen Eingeweide zu rammen, damit er sich auf dem Boden krümmte, aber er widerstand. »Was ist das für eine Expedition, von der Eleanor gesprochen hat?«
    »Ach die.« Linniman, der jemanden am anderen Ende des Raums beobachtet hatte, wandte sich wieder Will zu. »Meine phrenologischen Studien. Mit dem modernen Schädel wurde soviel angestellt, aber kaum etwas mit dem alten. Wir haben gerade eine indianische Siedlung in der Gegend von Springfield gefunden – allen Anzeichen nach Prä-Potawatomi –, im Westen der Stadt. Professor Gunderson – Sie haben ihn hier schon gesehen, es ist der rachitische kleine Mann mit dem lahmen Bein –, nun, er ist bei uns, um eine schwere Autointoxikation zu bekämpfen, aber von Beruf ist er Archäologe. Er hat die Siedlung entdeckt. Und er hat angeboten, mir ein paar Schädel zu überlassen.«
    »Und Eleanor?«
    Linniman sah ihm direkt in die Augen. »Ich will nicht sagen, daß sie sich langweilt, aber es war ein langer Winter. Ich habe es geschafft, sie für meine

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