Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
ernährte
    Von kristallklarem Wasser.
    Er war ein Fleischhasser.
    Weil schlau er war, Paradiesfrüchte er aß,
    Und deshalb so schnell ihn keiner vergaß.«
     
    Der sich lichtende Kopf schoß in die Höhe, und ein scherzhaftes Lächeln umspielte des Doktors Lippen. »Und wie alt ist er geworden, meine Freunde?«
     
    Will Lightbody stand unter der Bananenstaude im Palmengarten, eine Tasse Sorghum-Tee in der einen Hand, ein Kleie-Nuß-Gesundheitsplätzchen in der anderen. Der Tee roch und schmeckte wie etwas, womit man Holzschuppen gegen Trockenfäule behandelte, und das andeutungsweise süße Plätzchen hatte die Konsistenz von Viehfutter. Dennoch freute sich Will, seinem Körper den Tee und das Plätzchen zuführen zu können – und überhaupt jede Flüssigkeit und jedes Lebensmittel, solange sie nicht wie Milch oder Trauben aussahen, rochen oder schmeckten oder Milch oder Trauben auch nur in Spurenelementen enthielten. Eigentlich war Milch nur noch eine vage Erinnerung, obwohl sich ihm beim Gedanken daran noch immer die Kehle zuschnürte – im Augenblick waren es Trauben, die seinen Geist beherrschten. Bis vor acht Tagen war er auf die Traubendiät gesetzt gewesen, hatte nichts anderes als Trauben zu sich genommen, Trauben in allen Spielarten und Varianten, von Wackelpeter aus Concord-Trauben auf Muscadine-Traubenhälften über Tokaierpudding und Korintheneintopf zu unzähligen riesigen Gläsern mit leicht trübem, dreimal passiertem, sanatoriumsgeprüftem Traubensaft. Aber natürlich keinen Wein. Nicht einen einzigen Tropfen der einzigen Verarbeitungsart von Trauben, die er in seinem Leben je wieder würde akzeptieren können, selbst wenn er doppelt so alt werden sollte wie Methusalem.
    Trauben. Allein beim Gedanken daran, an die Art, wie sie einzeln zwischen den Zähnen aufplatzten und ihr fleischiges, schleimiges Inneres absonderten, an die Bitterkeit der Kerne, das aufdringliche, knollige Aussehen der Beeren, um die Traube geklumpt wie kleine Kanonenkugeln, wie Bleiklötzchen, Pflanzenschleim, Gift, mußte er unter Würgen die Toilette aufsuchen. Wann immer er eine arme, irregeführte Seele ausmachte, die in einem verlassenen Winkel des Speisesaals einen Teller geschälter Perlette-Trauben leerpickte, mußte er wegsehen. Er konnte nicht anders. Gegen Ende der Traubenkur erwachte er nachts mit dem deutlichen Gefühl, sich in den Fängen einer fetten, gewundenen Rebe zu befinden; Blätter sprossen hinter seinen Ohren, Ranken schlangen sich um seinen Hals, um ihn zu erwürgen, und er hievte sich, nach Luft schnappend, vom Bett hoch. Morgens schlich er sich auf die Toilette, bevor Schwester Bloethal ihn erwischte, und deponierte eine ganze Reihe perfekt geformter, kleiner purpurroter Kügelchen in der weißen Porzellanschüssel.
    Aber jetzt trank er Sorghum-Tee und aß Plätzchen. Er hatte nicht zugenommen – im Gegenteil, er hatte gut fünfzehn Pfund verloren –, und in seiner Abendgarderobe sah er aus wie ein lebender Kleiderständer. Unter der gestärkten weißen Hemdbrust, die mit Kragenknöpfen aus Onyx festgemacht und mit einem Kummerbund aus schwarzem Satin gesichert wurde, trug er ein leichtes Unterhemd, und unter dem Unterhemd befand sich eine ordentliche, saubere, achtzehn Zentimeter lange Narbe, eine einzelne Eisenbahnschiene, die die Anhöhe seines Bauches erklomm. Das war Dr. Kelloggs Werk. Er hatte geschnitten, gegraben, herumgewühlt und entfernt, und er hatte den Bauch auch wieder zugenäht. Unter den Patienten kursierte das Gerücht, daß der Doktor in Augenblicken der Muße, wenn er unterwegs war oder diktierte, an Kleidungsstücken seiner Kinder das Nähen übte und dabei die Scharfsichtigkeit seines Auges, die Flinkheit seiner Finger und die Festigkeit seiner Stiche trainierte. Will konnte dazu nichts sagen, aber er hatte auch keinen Grund zur Klage: Die Wunde war wunderbar verheilt. Selbstverständlich hatte die Operation, soweit er es beurteilen konnte, überhaupt nichts genützt. Vielleicht brannte das Feuer in seinen Eingeweiden auf etwas kleinerer Flamme, wie bei einem Wasserkessel, unter dem man das Gas kleiner gestellt hatte, aber es war noch da und brannte und brannte.
    Diesbezüglich hatte er natürlich Fragen, Fragen, die er im Verlauf eines der absurden Vorträge Dr., Kelloggs – also wirklich, der Wolf im Käfig war einfach zuviel gewesen, obwohl er zugeben mußte, daß die Sache hohen Unterhaltungswert besessen hatte – zur Sprache bringen wollte, aber bislang hatte er nicht

Weitere Kostenlose Bücher