Willkommen in Wellville
kehrte er in die Fabrik in der Water Street zurück, aber nur um sein endgültiges Ausscheiden bekanntzugeben, aus gesundheitlichen Gründen. Tatsächlich ging es ihm besser als je zuvor, aber er wollte sich seinen eigenen Interessen widmen – Dickens’ Gesammelte Werke lesen, Flaschenschiffe bauen, Drahthaarterrier züchten und sich auf die Vaterschaft vorbereiten.
Im Februar des folgenden Jahres brachte Eleanor ihr erstes Kind zur Welt, ein Mädchen von gut sieben Pfund und mit Augen wie smaragdgrünes Glas, das sie Elizabeth Cady nannten und in die rosa Wiege in dem sonnigen Zimmer oben an der Treppe legten. Ihr folgte zwei Jahre später Lucretia und schließlich, nach einer Pause von fünf Jahren, Julia Ward. Die Mädchen hatten allesamt lange Beine und waren schlank, und sie aßen, was immer ihnen schmeckte, innerhalb vernünftiger Grenzen. Will himmelte sie an.
Die Mutterschaft milderte Eleanors Ecken und Kanten, und die nervösen Zustände, unter denen sie in jungen Jahren gelitten hatte, schienen im Lauf der Zeit immer seltener aufzutreten. Doch obwohl sie milder wurde, zur Einsicht gebracht durch ihre Battle-Creek-Erfahrung, verlor Eleanor nie ihren schneidenden Witz und ihren reformerischen Eifer. Während sie sich früher ausschließlich auf die Ernährung gestürzt hatte, als ob die Kontrolle des Appetits Quelle und Grundlage allen menschlichen Strebens sei, wurde ihre Perspektive jetzt breiter, sie beschäftigte sich mit lokaler und nationaler Politik, mit Wohltätigkeitsarbeit, Erziehung und der Bewegung zur Erlangung des Frauenstimmrechts, und das mit dem gleichen Eifer, mit dem sie sich einst dem Verein Peterskiller Frauen für eine biologische Lebensweise oder dem Tief-Atem-Club des Sanatoriums von Battle Creek gewidmet hatte. Sie wechselte das Fach, mehr nicht, aber sie widerrief nie. Wenn es früher das Gemüse gewesen war, das die Welt retten sollte, dann waren es jetzt Menschenrechte, Erziehung, eine selbstlose Hingabe an die gute Sache. Sie wurde Präsidentin der Peterskiller Abteilung der National American Woman Suffrage Association, und 1919 bereiste sie das ganze Land, um für die Annahme des Neunzehnten Verfassungszusatzes zu werben. Sie war so engagiert, daß die Sorge um ihre Töchter oft Will oblag, eine Verantwortung, die er gern und ohne zu murren auf sich nahm. Wenn sie zu Hause war und sie sich zum Essen hinsetzten, dann akzeptierte sie eine Scheibe Truthahn- oder Rindfleisch, aber sie gewöhnte sich nie wirklich an Fleisch, ebensowenig jedoch vermißte sie Nuttose oder Kumyß, und nie oder fast nie erwähnte sie Dr. Kellogg.
Im Gegensatz zu ihr reiste Will selten und ging auch selten aus, außer um seinen Verdauungsspaziergang zu machen, die Mädchen in die Schule zu bringen oder einen ruhigen Abend bei Mapes’ oder in Ben’s Elbow zu verbringen (Obergrenze zwei Drinks – oder, na ja, vielleicht drei). Als die Mädchen erwachsen waren und das erste Grollen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr zu überhören war, stürzte sich Eleanor auf die Flüchtlingsarbeit, und das Haus in der Parsonage Lane füllte sich langsam mit Vertriebenen. Da waren Juden, Litauer, Tschechen, Franzosen und Polen, und sie schrieben, bildhauerten, spielten Klavier, hielten Reden und stritten über Politik, und sie aßen ausnahmslos alles, was ihnen vorgesetzt wurde. Für Will war es eine glückliche Zeit, das Haus voller Gespräche und Musik, seine drei Töchter (zwei waren verheiratet) lebten so nah, daß er sie zu Fuß erreichen konnte, und Eleanor strahlte wie der Polarstern in dieser brillanten Gesellschaft. Und als er ruhig sein siebenundsechzigstes Lebensjahr begann, spürte er, daß er Frieden mit sich geschlossen hatte, und wenn er auch kein Held war, so doch ein Mann, der sich als der Lage gewachsen gezeigt und sein Leben in die Hand genommen hatte vor so vielen Jahren auf jener sonnenbeschienenen Wiese neben dem Kalamazoo River. Er starb im Schlaf in der Nacht, als Hitler in Rußland einfiel.
Eleanor überlebte ihren Mann um zwanzig Jahre, und viele Jahre später, als sie über Siebzig war und sich für weniger Dinge einsetzte, fing sie wieder an, sich mit Ernährung zu beschäftigen. Mit achtundsiebzig war sie fitter, stärker, geistig reger und körperlich aktiver als die meisten zwanzig Jahre jüngeren Frauen. Sie sah sie bei Woolworth, wie sie Schweineschwarten und Popcorn mit viel Butter in ihre großen, fettglänzenden runden Gesichter schoben, sah, wie sie ihre Köpfe über Sandwiches
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