Willkommen in Wellville
Milchfütterungen, ein Zeitmaß, das Will bereits so alltäglich und natürlich erschien wie das Glockenläuten von St. Eustace in Peterskill. Als es endlich vorbei war, als das letzte lange, ernste, wohlmeinende Gesicht mit seinen langweiligen Ratschlägen und dem Geschwafel über Onkel Bills Räusche und Tante Mollys heimliches Gepichel verschwunden war, fand sich Will allein mit Eleanor, und er schritt zielstrebig mit ihr zur Tür hinaus und den Korridor entlang.
Aber wohin gingen sie?
Er spürte sie an seiner Seite glühen, ganz eigene Schwingungen entwickeln, die wärmer waren als das Sinusbad, heißer als der Heiße Handschuh. Sie war zufrieden mit sich. Sehr zufrieden. Sie hatte ihren Teil fürs San geleistet – wenn sie die Werbetrommel nicht gerührt hatte, wer dann? –, und das Publikum hatte sie gemocht, aufrichtig gemocht. Sie war ein Erfolg. Das Gesprächsthema des Hauses. »Hast du gesehen, wie sie sich zum Schluß um mich geschart haben? Ich hab’ fast keine Luft mehr gekriegt. Will, ach, Will«, sprudelte es aus ihr heraus, und sie hakte sich bei ihm unter und lehnte sich mädchenhaft an ihn, »es war so eine Ehre, dort oben vor Leuten wie den Sinclairs zu stehen – das war Meta am Ende des Tischs, die dunkle, auffällige Frau, die wie eine Zigeunerin aussieht. Und natürlich Horace B. Fletcher. Und hast du den komischen kleinen Mann in dem schwarzen Wollanzug bemerkt, der aussah, als wollte er auf eine Beerdigung? Das war Almus Overstreet, der Bankier – und weißt du, was er hinterher zu mir gesagt hat, dieser liebe kleine Mann?«
Will hielt den Arm seiner Frau fest. Ihm gefiel, wie er sich anfühlte, wie er ganz leicht in der Beuge seines eigenen ruhte, wie ihr Körper sich im Gleichklang mit seinem bewegte, und plötzlich fühlte er sich geladen mit der Elektrizität, die sie durchlief. »Nein, was hat er gesagt? Laß mich raten: Er will dich zur Teilhaberin machen?« Er konnte sein Lachen nicht zurückhalten, und es war zu laut, zu überschwenglich, fast ein Wiehern, aber er fühlte sich auf einmal so wohl, daß er nicht anders konnte. »Oder nein, er will dich auf die Abstinenzlerrundreise schicken, damit du den Frauen Ratschläge gibst, wie sie ihre gefallenen Männer retten können.«
»O Will, sei nicht albern. Obwohl es reizend ist, und du bist reizend, und ich bin so froh, daß du da bist.« Pause, Lächeln, ihre Lippen und Zähne: Himmel, wie er sie liebte. »Er hat gesagt, daß es die bewegendste Rede war, die er gehört hat, seitdem John L. Sullivan bei einem Abendessen der Elks Lodge aufstand und beschrieb, wie ihn der Alkohol ruiniert hat. Und er hat gesagt, daß du der glücklichste Mann auf Erden bist und daß er nicht daran zweifelt – daß er sein halbes Vermögen drauf wetten würde –, daß du gesund werden wirst mit einer Frau wie mir, die sich um dich kümmert. Ist das nicht lieb, obwohl er natürlich nur höflich sein wollte …?«
Sie standen jetzt vor den Aufzugtüren; der redselige Mann von der Tagschicht war von einem älteren, zurückhaltenderen Herrn abgelöst worden, der in seiner engsitzenden papageiengrünen Uniform – der gleichen Uniform, wie sie auch der Portier und seine Pagen trugen – etwas fehl am Platze wirkte. »Höflich oder nicht, El«, sagte Will, während er seine Frau in den Aufzug geleitete, »er hat recht: Ich bin wirklich der glücklichste Mann auf Erden. Und ich bin froh, wirklich froh, daß du mich hierher mitgenommen hast.« Er hatte eine vollständige Rede vorbereitet, eine Art Reuebekenntnis, das er im stillen eingeübt hatte, während sie am Rednerpult stand, das Eingeständnis, daß er schwierig gewesen war, aufsässig sogar, ein negativer Denker, daß er jetzt aber, obwohl sie vor diesen Fremden vielleicht etwas persönlicher geworden war, als ihm lieb war, voller Einsehen war. Die Worte lagen ihm auf der Zunge, aber er kam nicht dazu, sie auszusprechen. »Welches Stockwerk?« fragte der Aufzugführer mit belegter, kummervoller Stimme, als würde er fragen, an welcher Stelle sie auf dem Oak-Hill-Friedhof beerdigt sein wollten, und plötzlich war Will fürchterlich konfus.
Eleanor antwortete für ihn. »Zweiter Stock«, murmelte sie.
»Ja, natürlich«, flüsterte Will und preßte sanft ihren Arm, »ich bring’ dich bis zu deinem Zimmer.« Und dann, als der Auf Zugführer steif die Gittertür zuzog, senkte er die Stimme noch mehr und flüsterte in ihr warmes Ohr: »Himmel, es ist, als seien wir frisch verliebt.«
Eleanor
Weitere Kostenlose Bücher