Willkommen in Wellville
das erste seiner zahllosen Gläser mit Milch.
Das Essen selbst – das heißt, das Essen, das die anderen zu sich nehmen durften – war durchweg Haute-San-Küche, angefangen von der Vorspeise – im Treibhaus gezogene, an ein Wunder grenzende, mit allem möglichem garnierte Tomatenscheiben, bis zum Gemüsehackbraten, zu den mit Streichkäse gefüllten Paprikaschoten, der Eiscreme und dem Gesundheitskoko nach dem Essen. Will fand die Frau zu seiner Linken (eine Mrs. Prendergast aus Hackensack, New Jersey) überaus reizend, zudem liebte sie Hunde, und er ergötzte sie in seinem hallenden Tonfall mit Geschichten von Dick, dem Drahthaarterrier, und seinen diversen Heldentaten und Hundestreichen. Der Mann ihm gegenüber war auch in Ordnung – ein großer, rotgesichtiger, in schottischen Tweed gewandeter Kerl mit einem schwachen Herzen, der auf das Thema General Castro, den brutalen südamerikanischen Diktator, fixiert schien, aber doch auch überglücklich war, eine detaillierte Analyse der Chancen der Armee im bevorstehenden Armee-Marine-Sportfest liefern zu können, bis Will plötzlich das Thema wechselte. Und wenn es an ihrem Tischende einen Mittelpunkt gab, dann war es natürlich Eleanor. Sie brillierte wirklich, sie neigte den Kopf, legte ihn schief, um einen ihrer kleinen verbalen Schläge auszuteilen, oder sie hielt mitten in einem Satz inne, um ihre Zuhörer mit ihrem besten komisch-bekümmerten Augenrollen zu bedenken. Gärtnern, darum ging es. Der Kerl zu ihrer Rechten – Will hatte seinen Namen nicht verstanden – konnte von nichts anderem als seinem Anwesen und den von ihm dort durchgeführten Verbesserungen sprechen, Platanenallee und Rhododendronlaube ad nauseum. Eleanor machte ihn zur Schnecke.
Als es Zeit für die Reden war, hob die offizielle Gastgeberin, eine so durch und durch gesunde Ärztin, daß sie für das Porträt der »Maiskönigin« hätte posieren können, ihr Glas Pflaumensaft und hieß Will und Eleanor, Mrs. Tindermarsh und ungefähr ein Dutzend andere in Battle Creek willkommen. »Auf die Wohltat eines Handschuhs in der kalten grauen Dämmerung«, sagte sie, das Glas hoch erhoben, »auf das Prickeln der Sinusströmung entlang Ihres Rückgrats und die Segnungen eines fleischlosen Lebens!« Als nächstes sprach eine Frau, die wie ein quadratischer Block geformt war, wie ein Stein, bevor er behauen wird, eine so kompakte Frau, daß Mrs. Tindermarsh neben ihr zierlich wirkte. Wie sich herausstellte, war sie eine Missionarin aus Island, und sie rezitierte in einem norwegischen Dialekt ein Gedicht über Backpflaumen und kurze kalte Ausflüge zum Außenabort unter einem kümmerlichen Mond. Dann war Eleanor an der Reihe.
Will spürte sein Herz schlagen, als sie auf das Podium stieg und ihre Notizen auf dem Pult ordnete. Will war kein guter Redner – zweimal war er im Rhetorikkurs durchgefallen –, und er staunte über ihre Selbstbeherrschung, als sie so gelassen dastand und alle diese unbekannten Menschen – zudem auch noch Würdenträger und hohe Tiere – ins Auge faßte. Sie mußte sich nicht einmal räuspern oder an ihrem Wasserglas nippen – sie fing einfach an, in einem verhaltenen Konversationston, der wunderbar durch den ganzen Raum trug. »Heute abend, meine Damen und Herren, meine Freunde, möchte ich Ihnen von meinem Leben vor Battle Creek erzählen, von meinem ganz persönlichen Mittelalter, als alle meine heiligen Tempel belagert wurden von den barbarischen Horden der Völlerei, des Fleisches und der Schlaflosigkeit. Ich war eine verlorene Seele. Zwanzigmal am Tag brach ich in Tränen aus über Dinge, die so banal waren, daß ich mich fast schäme, sie zu erwähnen – obwohl ich es tun werde, weil mir daran liegt, daß Sie verstehen, wie schwer krank und irregeleitet ich war, bevor ich Dr. Kellogg und La Vie simple kennenlernte.« Sie hielt inne, ihre Augen riesengroß, ihr Mund eine rührende, entschlossene Schnute. »Eine eingerissene Briefmarke. Die feinen, erlesenen Alterslinien in einer meiner Sèvres-Tassen. Ein Vogel in einem Käfig. Der Gedanke an ein trostloses, gottverlassenes Moor im Wald, auf das sich die Nacht wie eine Geistererscheinung herabsenkt. Ein Federhalter mit zerbrochener Feder. Agraffen. Aprikosen. Die Art und Weise, wie die Sonnenstrahlen am Spätnachmittag durch die Wohnzimmerfenster und auf das Bild meiner Mutter, bekleidet mit ihrem besten Hut und Kleid, fielen. Das, meine Freunde, waren die Dinge, die mich aus dem Gleichgewicht
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