Willkommen in Wellville
war klein und hart, und sie stand halb vornübergebeugt auf den Fußballen, ein Ringer, der zum Angriff ansetzt. Will wich einen Schritt zurück. »Wie heißt sie?« wollte sie plötzlich wissen, und ein schneidender, unsicherer Ton schwang in ihrer Stimme mit.
Will blieben die Worte beinahe im Hals stecken. »Schwester Graves.«
»Graves? In Ordnung. Danke.« Sie wandte ihm den Rücken zu und ging zum Schreibtisch in der Ecke, wo sie den Federhalter nahm und den Namen wütend auf ein Blatt Papier kritzelte.
Will war hundeelend zumute. Wenn sie ihm Schwester Graves wegnahmen, dann hätte er nichts mehr, nichts als eine ununterbrochene Folge von Tagen mit Ozeanen voller Milch, den mysteriösen Verlautbarungen der Doktoren K. und L. und Schwester Bloethals harter schwerer Hand. »Sie ist wirklich sehr gut«, murmelte er. »Wirklich, El. Sehr aufmerksam.«
Aber Eleanor hörte nicht zu. Sie war ins Badezimmer gegangen, wo sie etwas, was verdächtig nach hijiki- Flockenaussah, in einen riesigen Krug streute, in den Wasser aus dem Hahn lief. Als sie sich übers Waschbecken beugte, blieb ihr Nachthemd an den Hüften hängen, ließ Kurven und Formen erkennen und gestattete ihm einen weiteren Blick auf ihre weißen weißen Knöchel. Will konnte nicht anders. Leichtfüßig schritt er durchs Zimmer, schlüpfte ins Bad und umfaßte sie mit den Armen. »El«, flüsterte er, heiser vor Leidenschaft, »laß uns wieder ins Bett gehen.«
»O Will«, sagte sie und seufzte, »ich bin jetzt zu nervös. Ich weiß sowieso nicht mehr, was ich mir dabei gedacht habe – diese Art Beschäftigung wäre ein großer Fehler für uns beide. Du weißt, was Dr. Kellogg gesagt hat.« Er beobachtete ihre Augen im Spiegel, aber er sah nichts, was ihn ermutigt hätte. »Geh zurück zu deiner Schwester, Will. Werd gesund. Geh ins Bett.«
Er hörte sie, aber sein Blut war in Wallung, und er konnte jetzt nicht mehr aufhören. Er nahm sie bei der Hand, sanft, behutsam, und führte sie zurück zum Bett, und während sie sich Seite an Seite auf die steinharte physiologische Matratze legten, schaltete er die Nachttischlampe aus. Dunkelheit hüllte sie ein wie eine Decke. Im Zimmer hallten die leisesten Geräusche wider – das Ticken der Uhr auf dem Sekretär, das leise saugende Geräusch ihres Atems. Nach einer Weile drang ein schwacher Lichtschein am Rand der Vorhänge vorbei, und unter der Tür wurde ein schmaler heller Streifen sichtbar. Er wandte sich zu ihr, um sie zu küssen, und hatte den Mund voller Haare. »Nein, Will«, sagte sie, und ihr Ton war fest. »Meine Nerven verkraften das nicht.«
»Bitte.« Seine Stimme war ein Quieken in der Dunkelheit, das Flehen eines Kindes, erbärmlich. »Mir geht’s schon besser, wirklich. Und ich brauche dich.« Er war verzweifelt, klammerte sich an jeden Strohhalm. »Der Schwur, den wir bei der Hochzeit geschworen haben, was ist mit dem Schwur? Und unsere Tochter?«
Noch während er sprach, wußte er, daß er zum Scheitern verurteilt war. Kein Argument konnte Eleanor bewegen. Ihr Vater hatte sie schamlos verwöhnt, und seitdem Will sie kannte, hatte sie sich stets so verhalten, wie es ihr gefiel. Und wenn sie irgendwann einmal nachzugeben schien, dann nur, weil sie einen Vorteil für sich darin entdeckte, eine Art Tauschhandel mit Zugeständnissen betrieb. Nein, sie war ein Stein. Sie war stur. Er konnte genausogut jetzt gleich aufgeben und in seine einsame Zelle zurückschlurfen.
»Ach, na gut, Will«, hauchte sie in der Dunkelheit, und ihre Fügsamkeit erstaunte ihn, elektrifizierte ihn, »aber bitte beeil dich. Sonst wird deine Milch warm.«
Der Flanell raschelte leise, als sie sich zurücklegte und das Nachthemd hochschob. Ihre Schenkel schimmerten blaß im trüben Licht. Will fummelte an seinen Hosenknöpfen – schnell, schnell –, zerrte an seiner Hemdhose. Noch einen Augenblick – jetzt –, und wieder ließ er sich auf sie fallen. Aber irgend etwas stimmte nicht. Er schien nicht … das war doch … da war nichts. Wie vom Donner gerührt, langte er hinunter, um nachzuprüfen, und mußte feststellen, daß er schlaff war – schlaff, und das nach diesem Sperrfeuer unzüchtiger Gedanken und dem häufigen unziemlichen Steifwerden im Schritt, schlaff, jetzt, da die Stunde endlich gekommen war.
Eleanors Stimme sprach aus der Leere. »Mach schon, Will. Meine Nerven. Bring’s hinter dich.«
Er versuchte, sich zu konzentrieren, versuchte, an Schwester Graves und die Frau im Wartezimmer zu denken,
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