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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Rache Gottes!«
    Aber, und dabei blätterte ich die Seiten durch, ich würde mindestens zwei Tage brauchen, um die Schwarte zu lesen. Zeit, die ich vielleicht nicht hatte. Der nächste Anschlag der Wiedertäufer würde bestimmt kommen. Und er konnte bedeuten, dass Mareike verhaftet wurde. In meiner Fantasie sah ich mich als Retter zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich würde einschreiten, sie zur Seite ziehen, lange auf sie einreden, sie schließlich davon überzeugen, dass es viel zu gefährlich sei weiterzumachen. Wir würden völlig neu anfangen, ein Liebespaar werden, nach Mittelamerika fliegen oder wohin auch immer.
    Ich nahm einen Zettel. Was wusste ich über die Anschläge?
    – Ende Januar: Käfige am Lambertiturm werden gelb angemalt
    – Mitte Februar: Säureanschlag auf das Bild von Bischof Waldeck
    – Ende Februar: Bombenanschlag auf die Bistumsbank.
    Die Zeitabstände zwischen den Aktionen waren etwa gleich, die Gewalt nahm zu. Was kam als Nächstes dran? Das Bischofspalais? Der Dom? Hatte ich etwas übersehen?
    Zu dumm, dass ich die Zeitungsberichte über die Anschläge nicht gelesen hatte. Aber das ließ sich nachholen. Alle Tageszeitungen haben ihre Ausgaben der letzten Monate vorrätig.
    Ich stiefelte erneut zum Prinzipalmarkt, wo sich die Geschäftsstelle der größeren der beiden münsterschen Tageszeitungen befand. Nach eingehender Zeitungslektüre sah mein zweiter Zettel folgendermaßen aus:
    – Käfigmalaktion: in der Nacht vom 21. zum 22. Januar
    – Bild Waldeck zerstört: 24. Februar, nachmittags
    – Bistumsbank demoliert: 28. Februar, mittags.
    Bei den Zeitabständen hatte ich mich geirrt. Zwischen dem ersten und dem zweiten Anschlag lag über ein Monat, zwischen dem zweiten und dem dritten vergingen nur vier Tage. Seitdem waren bereits zehn Tage verstrichen. Also doch kein zeitlicher Rhythmus. Steckte ein anderes System dahinter?
    Ich starrte auf die Zettel. Irgendein Datum kam mir bekannt vor. Ich hatte es in einem anderen Zusammenhang gelesen. Aber in welchem?
    In meinem Gedächtnis ließ ich den Tag rückwärts laufen. Als ich bei den Lexikon-Texten ankam, fiel es mir ein: Am 22. Januar 1536 waren Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling und ein dritter Wiedertäufer hingerichtet worden. Anschließend hatte man die Käfige mit ihren Leichen aufgehängt. Das System der Anschläge steckte in der Wiedertäufergeschichte. Sowohl was die Art der Aktion als auch den Zeitpunkt betraf. Jetzt musste ich nur noch ganz schnell alles über die Wiedertäufer lernen – oder jemanden fragen, der sich besser damit auskannte.
    Ich telefonierte eine Weile herum, und dann hatte ich ihn: Professor Walter Rasch, emeritierter Lehrstuhlinhaber für Neuzeitliche Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster, Verfasser des Standardwerkes »Die Stadt im ausgehenden Mittelalter«, Wiedertäuferforscher nicht aus beruflicher Pflicht, sondern aus privater Neugier, wobei der eine oder andere Artikel für historische Fachblätter quasi als Abfallprodukt entstanden war, seit fünf Jahren im Ruhestand, wohnhaft in Havixbeck.
    Ich wählte die Nummer, die mir die monotone Computerstimme bei der Auskunft gegeben hatte. Frau Rasch war am Apparat. Nein, ihr Mann sei jetzt nicht zu sprechen. Es sei doch auch schon reichlich spät. Wenn ich vielleicht morgen früh …
    »Rasch«, meldete sich eine hohe Altmännerstimme.
    »Guten Abend, Herr Professor Rasch. Mein Name ist Georg Wilsberg. Die Sache, um die es geht, ist wirklich sehr dringend. Sonst würde ich es nicht wagen, Sie zu stören.«
    »Ja, ja, kein Problem. Meine Frau behandelt mich, als wäre ich krank oder senil oder beides zusammen. Und lassen Sie den Professor weg!«
    Ich schilderte ihm mein Anliegen.
    »Ähm«, machte er ins Telefon, das berühmte Wissenschaftlerwort, mit dem man Vorträge beliebig strecken kann. »Ich muss gestehen, dass ich mich mit den Anschlägen nicht näher beschäftigt habe. Irgendwo hab ich's zwar aufgeschnappt, aber für Streiche orientierungsloser Jugendlicher gehalten. Was Sie sagen, klingt allerdings sehr interessant. Wissen Sie was? Kommen Sie einfach vorbei. In der Zwischenzeit mache ich mich ein bisschen sachkundig. In meinem Arbeitszimmer liegt noch ein Stapel alter Zeitungen.«
    Aus dem Hintergrund kam deutlicher Protest.
    »Und machen Sie sich wegen meiner Frau keine Sorgen! Man muss sie nur vor vollendete Tatsachen stellen. Zur Not kann ich auch selber Kaffee kochen.«

X
    Havixbeck liegt ziemlich in der

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