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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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nicht viel schlauer gemacht. Zu dumm, dass ich von der Geschichte so wenig mitbekommen habe. In diesem verträumten Havixbeck lebt man wie unter einer Käseglocke.«
    »Ich bin froh, dass wir in Havixbeck leben.« Mit diesen Worten flog die Tür auf, und Frau Rasch trug ein Tablett herein. Zwei Kännchen, zwei Tassen, Milch- und Zuckerbehälter sowie eine Schale mit Keksen bildeten das geblümte Ensemble. Während ihr Mann einen Servierwagen freiräumte, blieb sie mitten im Raum stehen und sagte streng: »Die Kekse sind für Herrn Wilsberg. Viel zu fettig für deinen empfindlichen Magen.«
    Der Professor nahm ihr das Tablett ab. »Natürlich, Liebes. Und vielen Dank.«
    Sie warf einen bösen Blick auf meinen Zigarillo. »Und mach hinterher die Fenster auf! Das dauert wieder Tage, bis der Gestank abgezogen ist.«
    »In Ordnung«, flötete Walter Rasch. »Du brauchst nicht auf mich zu warten. Geh ruhig ins Bett, wenn du müde bist. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir fertig sind.«
    Sie wollte etwas sagen, stapfte dann aber wortlos hinaus.
    Rasch prüfte den Inhalt der beiden Kännchen und goss dann zwei Tassen Kaffee ein. Nach dem ersten Schluck stopfte er sich zwei Kekse in den Mund. »Meine Frau«, artikulierte er undeutlich, »ist etwas streng. Aber ohne sie wäre ich vermutlich verloren.« Er spülte mit einer halben Tasse Kaffee nach. »Haben Sie eigentlich den Wiedertäuferfilm im Fernsehen { 7 } gesehen?«
    »Nein. Außer Fußball und Tennis sehe ich nicht viel. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich alle Spielfilme kennen würde. Die neuen sehen aus wie die alten, und auch die werden nach der dritten Wiederholung langweilig. Seitdem begnüge ich mich mit den Inhaltsangaben in der Zeitung.«
    »Sehr vernünftig. Fernsehen ist das Ende der Kommunikation. Mal abgesehen davon, dass alles niveau- und belangloser wird. Gucken Sie sich die kleinen Kinder an! Sitzen den ganzen Tag vor dem Fernseher und wissen nicht, dass es draußen eine Wirklichkeit gibt.« Ein dritter Keks fand den Weg in seinen Mund. »Aber zurück zu den Wiedertäufern. Der Film war grauenhaft. Er hatte mit der realen Geschichte so viel zu tun wie Sophia Loren mit Cleopatra. Obwohl ich zugeben muss, dass sie mir als Cleopatra sehr gut gefallen hat. Nein, diese Fernsehleute haben geglaubt, dass sie die Wiedertäufergeschichte mit aktuellen Bezügen modernisieren müssen. Jan van Leiden als gerissener und zynischer Sektenführer, der Visionen und Halluzinationen mit Bettlaken inszeniert. Und das Volk von Münster hockt den ganzen Tag auf dem Prinzipalmarkt und blökt wie eine Herde dummer Schafe. So war das nicht.«
    Die Pfeife gab nichts mehr her, und der Professor hielt ein Feuerzeug an den Kolben. »Die Reformation und die verschiedenen Sektenbewegungen lassen sich nur als Kritik an der katholischen Kirche und den unwürdigen Lebensbedingungen verstehen. Wunderglaube, Ablassbriefe und dazu das verlotterte Leben des höheren Klerus. Auch Waldeck, der damalige Bischof von Münster, war ja kein ordinierter Priester, sondern ein Lebemann. Viele Gläubige, vor allem aus den ärmeren Schichten, haben nicht verstanden, wie diese verkommene Kirche zum erhofften Heil führen kann. Zwischen kirchlicher und weltlicher Macht gab es kaum einen Unterschied. Nun, auch Luther und Zwingli haben schließlich ihren Kotau vor der Obrigkeit gemacht. Aber es gab überall Gruppen, die den eingeschlagenen Weg bis zu Ende gehen wollten. Die Wiedertäufer waren eine von ihnen. Melchior Hoffmann in Straßburg, Jan Matthys in Amsterdam, an verschiedensten Orten scharten sogenannte Propheten Jünger um sich. Jan van Leiden war so ein Mitläufer. Ein Schankwirt und Komödiant. Matthys hat ihn getauft und nach Münster geschickt. Damals, das war noch vor dem politischen Sieg der Wiedertäufer, war unser Jan nur eine kleine Nummer. Auch später hat er die prophetische Gabe nicht für sich in Anspruch genommen. Die hat er lieber anderen überlassen: dem lahmen Propheten Dusentschur und Knipperdolling. Leiden hat nach dem Tod von Matthys den Widerstand organisiert, die Kriegswirtschaft, und das hat er sehr geschickt getan.« Er stockte und lächelte entschuldigend. »Jetzt bin ich ins Erzählen gekommen. Dabei interessiert Sie das alles gar nicht.«
    »Ich finde das sehr faszinierend. Heute Vormittag habe ich angefangen, ein Buch darüber zu lesen.«
    »Welches?«, schnappte er nach.
    »Der König der letzten Tage.«
    »Ah, die beiden Franzosen. Zwar nicht

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