Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
wissenschaftlich, aber recht informativ. Etwas feuilletonistisch geschrieben. Man merkt, dass die beiden Journalisten waren. Jetzt gibt es etwas Neues. Von einem gewissen Thomas Seifert { 8 } , auch Journalist. Der zeigt, dass das münstersche Wiedertäufertum eigenständige Wurzeln hatte, angefangen bei Bernhard Rothmann, dem Stutenbernt, ein Theologe, dem keiner der katholischen und protestantischen Pfaffen das Wasser reichen konnte.« Und Rasch setzte zu einem neuen Vortrag an.
»Herr Professor«, sagte ich zehn Minuten später, »das ist wahnsinnig interessant. Ich fürchte nur, wir werden morgen früh noch hier sitzen, wenn wir nicht langsam vom Allgemeinen zum Konkreten kommen.«
»Verzeihen Sie!« Er klopfte seine Pfeife aus. »Ich bin ein alter, dummer Mann. Mir fehlen die Studenten, wissen Sie. Niemand lädt einen emeritierten Professor zu einem Vortrag ein. Da wird jeder, der hier vorbeikommt, zum Opfer meiner Redseligkeit. Ich ertappe mich schon dabei, dass ich mit unserer Putzfrau über das Mittelalter rede.« Er schraubte die Pfeife auseinander und blies kräftig durch den Stiel. »Jetzt sind Sie dran. Bringen Sie mich auf den Stand Ihrer Ermittlungen. Ich verspreche, dass ich in der nächsten Viertelstunde kein Wort sagen werde.«
Und ich erzählte ganz von vorne, ließ weder die Begegnung mit dem Weihbischof noch den unfreiwilligen Aufenthalt beim Kommando Jan van Leiden aus. Am Ende berichtete ich von meinen Versuchen, in den Anschlägen der Wiedertäufer eine Systematik zu entdecken.
Rasch hatte sich inzwischen eine zweite Pfeife gestopft und schmauchte nachdenklich vor sich hin. Endlich nahm er die Pfeife aus dem Mund: »Am 24. Februar war das Säureattentat auf Franz von Waldecks Porträt, richtig?«
Ich bestätigte es ihm.
»Mir schwant da etwas.« Er stand auf und bewegte sich zielsicher durch den Raum. Aus einem bedenklich schwankenden Buchstapel zog er das dritte Buch von oben heraus. In dem Buch blätternd und mit nachtwandlerischer Sicherheit die verschiedenen Hindernisse umkurvend, kehrte er zu mir zurück.
Kurze Zeit später stieß er ein Triumphgeheul aus. »Ich hab's. Denn haufenweise, als wenn sie die Verbrechen unter sich verteilen wollten, tobten sie am 24. Februar durch die Stadt. Und hier: Dann beraubten sie den Dom aller Kostbarkeiten, entweihten das Allerheiligste, plünderten die Altäre und nahmen die Tücher … Im Kapitelsaal zerstörten sie die Fenster und die mit kunstvollen Wappen gezierten Stühle der Domherren. Die Bilder der heiligen Jungfrau und Johannes des Täufers durchlöcherten sie, um sie als Abtritt zu brauchen … Die Bilder der Väter, Propheten und anderer Heiliger, die überall an den Säulen und Wänden angebracht waren, warfen sie mit Leitern und Brecheisen herab … Und so weiter und so weiter. Das ist von Kerssenbrock { 9 } . Der hat Ende Februar 1534, als Zwölf- oder Dreizehnjähriger, zusammen mit den anderen Katholiken die Stadt verlassen. Zumindest bis dahin ist er einigermaßen glaubwürdig. Der Rest seiner narratio historica sind Gräuelmärchen, um das Blutbad an den Wiedertäufern zu rechtfertigen. Aber bekanntlich wird Geschichte ja immer aus der Perspektive der Sieger geschrieben.«
Der Professor klappte das Buch zu. »Da haben Sie Ihre Parallele. Am 24. Februar 1534 kam es in Münster zu einem Bildersturm in den Kirchen, vor allem im Dom.«
»Und der Anschlag auf die Bistumsbank?«, fragte ich.
»Na, das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht auch herausfinden.« Er wanderte erneut durch sein Labyrinth. »Hier«, rief er von der Bücherwand, »ich zitiere Jan Matthys, den Propheten, der von Holland nach Münster gekommen war: Einem Christen gehört, kein Geld zu haben. Ende Februar 1534 fasste der Stadtrat den Beschluss, dass alle Güter allen gemeinsam gehören sollen. Gresbeck, der andere Chronist { 10 } , beschreibt, wie die Leute Silber, Edelmetalle und Schmuck aufs Rathaus bringen, wo alles verzeichnet und aufbewahrt wird. Gresbeck war übrigens der Verräter, der den bischöflichen Truppen im Sommer 1535 das Tor geöffnet hat. Aber das ist eine andere Geschichte.«
Der Professor hatte sich inzwischen wieder gesetzt und schaute mich aufmerksam an. »Nun wissen wir also, was sich das Kommando Jan van Leiden bei den Anschlägen gedacht hat. Und was machen wir mit unserem Wissen? Gehen wir damit zur Polizei?«
Das war die Frage, die ich erwartet und befürchtet hatte. Wie konnte ich den Professor davon überzeugen, dass es besser
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