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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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Mitte zwischen Roxel, Billerbeck und Altenberge und unterscheidet sich rein äußerlich nur unerheblich von den anderen -becks und -berges des Münsterlandes. Mittendrin steht eine Kirche, umgeben vom alten Siedlungskern, an den sich wiederum, wie Parasitenschwämme an einer verkümmerten Wirtspflanze, monotone und bodenfressende Einfamilienhaus-Kolonien anschließen.
    Gegen neun Uhr abends erreichte ich das Ortsschild von Havixbeck. Dahinter ging das Licht der Straßenlaternen an, die eine gespenstisch leere Stadtimitation illuminierten. Gern hätte ich jemanden nach dem Weg gefragt, aber erst nach zehnminütiger Kreuzfahrt durch Havixbeck fand ich eine offene Tankstelle. Der Tankwart, ein rotgesichtiger, aufgeschwemmter Bursche, war so dankbar über die Unterbrechung seines Nichtstuns, dass er geschlagene fünf Minuten brauchte, um mir drei verschiedene Wege zum Haus des Professors zu erklären. Ich nahm den ersten, und drei Minuten später stand ich vor dem weiß gestrichenen Häuschen mit der kitschigen Laterne über dem Eingang.
    Frau Rasch öffnete und musterte mich misstrauisch.
    »Sie sind also doch gekommen?«, fragte sie zur Begrüßung.
    Ich setzte mein nettestes Lächeln auf. »Tut mir leid, wenn ich Sie störe. Es handelt sich um ein wirklich dringendes Anliegen.«
    »Nichts ist so dringend, dass man es nicht zu zivilisierten Zeiten erledigen könnte.« Sie stand immer noch in der Tür, und das hieß: sie füllte sie aus.
    »Nun lass ihn doch endlich rein!«, rief der Professor, der unsichtbar blieb.
    Widerwillig wich sie zur Seite und schloss die Tür hinter mir mit einem energischen Stoß.
    »Wo finde ich Ihren Mann?«, fragte ich vorsichtig.
    Sie streckte den Zeigefinger aus. »Gehen Sie Ihrer Nase nach! Er raucht wieder Pfeife, obwohl es ihm der Arzt verboten hat.«
    »Papperlapapp.« Das kleine, dürre Männchen mit der großen Pfeife im Mund kam auf mich zu. »Er hat mir geraten, mit dem Rauchen aufzuhören. Raten und Verbieten sind zwei völlig verschiedene Dinge. Walter Rasch.« Er schüttelte mir die Hand. Über der verbeulten grauen Hose trug er eine ebenso graue Strickweste, die ein neumodisches Holzfällerhemd verdeckte, das am Kragen mindestens fünf Nummern zu groß war. Der Kopf war vollkommen kahl, bis auf ein paar graue Strähnen, die sich um die Ohren kringelten.
    »Kommen Sie mit! Wir gehen in mein Arbeitszimmer. Und du …«, er wandte sich seiner Frau zu, »… bringst uns eine Kanne Kaffee.«
    »Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, fauchte sie zurück. »Kräutertee ist das Äußerste. Denk an dein Herz! Du wirst die ganze Nacht nicht schlafen können.«
    »Na gut, dann Kräutertee.« Er zwinkerte mir zu. »Aber Herr Wilsberg möchte sicher eine Tasse Kaffee trinken, nicht wahr?«
    »Gerne«, sagte ich.
    »Siehst du!« Triumphierend schaute er zu seiner Frau auf. »Und nun sei so lieb! Mach den Kaffee bitte nicht zu dünn, Herr Wilsberg macht einen vollkommen gesunden Eindruck.«
    Schmollend und einen Satz brummend, der nach »Bin ich hier das Dienstmädchen?«, klang, verließ Frau Rasch den Schauplatz ihrer Niederlage.
    Der Professor zog mich am Arm. »Der Kräutertee schmeckt fürchterlich, aber ihr Kaffee ist ausgezeichnet. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir ein halbes Tässchen abzutreten?«
    Das Arbeitszimmer war labyrinthartig angelegt. Zwischen Bergen von Büchern, Aktenordnern, abgehefteten und unabgehefteten Kopien schlängelte sich ein schmaler Weg bis zum Schreibtisch, der wiederum vor einer vollgestopften Bücherwand und eingezwängt neben weiteren Regalen stand.
    »Halten Sie das nicht für Unordnung!«, belehrte mich Rasch. »Ich weiß genau, was sich wo befindet. Solange meine Frau nicht sauber macht. Und das tut sie leider jedes Vierteljahr.«
    Er räumte einen Stapel Bücher von dem einzigen Sessel, der sich in dem Zimmer befand, und zog den Schreibtischstuhl hinter dem Schreibtisch hervor, sodass sich die beiden Sitzgelegenheiten gegenüberstanden. Dann stopfte er seine Pfeife und setzte sie umständlich in Brand. Ich hielt das für ein Signal, meine Zigarilloschachtel aufklappen zu dürfen. Als Raucher fühlt man sich in letzter Zeit ja so einsam.
    Er schien etwas Ähnliches zu denken, denn ein Schmunzeln umspielte seinen faltigen Mund, als er meine Sir John's roch. »Wo man raucht, da kannst du ruhig harren, böse Menschen haben nie Zigarren.« Behaglich stieß er eine große Wolke aus. »Ich habe inzwischen Zeitung gelesen. Offen gestanden, hat es mich

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