Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
sei, wenn wir unser Wissen für uns behielten?
»Ich habe Ihnen noch nicht alles erzählt«, begann ich vorsichtig. »Es geht um einen siebzehnjährigen Jungen und eine junge Frau.«
Die Augen des Professors blitzten. »Eine junge Frau? Das klingt so, als wäre Liebe im Spiel.«
Und ich berichtete von Andreas Kleine-Schüttringhaus, den ich aus der Gruppe der Wiedertäufer loseisen wollte, und von Mareike, die ich, wenn irgend möglich, den Klauen der Polizei entziehen wollte.
»Und wie haben Sie sich das gedacht?«, fragte Rasch, nachdem ich fertig war.
»Ich muss herausfinden, wann und wo der nächste Anschlag stattfindet. Alles Weitere regelt sich vor Ort.«
»Sie glauben, die lassen sich mit guten Argumenten überzeugen?«
»Wenn nicht mit Argumenten, dann mit Drohungen. Immerhin weiß ich einiges über sie.«
Rasch nahm den letzten Schluck des erkalteten Kaffees und kaute ihn im Mund, als wäre er bei einer Weinprobe. »Wir haben eine Hypothese aufgestellt, eine durchaus plausible, aber letztlich haben wir keinen Beweis, den wir der Polizei vorenthalten.«
»Danke, Professor.«
Er winkte ab. »Ich bin ein alter Mann. Mich sperrt keiner ein. Und so ganz unrecht haben die Wiedertäufer ja nicht.«
»Welche? Die vor 450 Jahren oder die heutigen?«
Ein diabolisches Lächeln huschte über sein Gesicht. »Beide.«
»Bleibt noch ein Problem«, sagte ich und spürte auf einmal, wie müde ich war. »Was werden sie als Nächstes tun?«
Um drei Uhr morgens fuhr ich nach Hause. Mir rauchte der Kopf, ich war fix und fertig.
Das, dachte ich, kommt dabei heraus, wenn ich beschließe, einen Tag freizunehmen.
XI
Gegen Mittag des nächsten Tages wachte ich mit dem Gedanken auf, dass es eine zweite Spur gab, eine, die ich in der Zwischenzeit völlig verdrängt hatte. Vermutlich deshalb, weil ihre Verfolgung eine unangenehme persönliche Begegnung mit sich bringen würde. Sie hieß nämlich Tobias Frank, Münsters rasender Reporter und nervtötende Quasselstrippe.
Nach dem Frühstück hängte ich mich ans Telefon und erreichte ihn in der Redaktion.
»Hast aber Glück«, sagte Frank, »bin gerade auf dem Sprung zum nächsten Termin.«
»Wir sollten uns mal unterhalten. Mir ist da bei der Wiedertäufergeschichte was aufgefallen.«
»So? Was denn?«
»Nicht am Telefon. Können wir uns heute Abend treffen?«
Er war sofort dazu bereit. Was mich nicht überraschte, da er extrem neugierig war. Aber ich glaubte, einen besorgten Unterton aus seiner Stimme herauszuhören. Um die Sache für mich nicht unangenehmer als nötig zu gestalten, schlug ich vor, gemeinsam zur Wassermann-Sauna in Hiltrup zu fahren.
Wenn ich mich nicht gerade in der Nähe des Äquators aufhalte (was selten genug vorkommt), gehören Saunen zu meinen bevorzugten Biotopen. Nichts ist entspannender, als nach einem Saunagang und einer kalten Dusche in einem bequemen Sessel zu sitzen, die Beine hochzulegen und in einer Illustrierten die dramatischen und herzzerreißenden Liebesaffären am englischen Königshof zu verfolgen.
An diesem Tag musste ich auf Diana, Charles und Fergie verzichten, und meine Entspannung wurde durch den brabbelnden Tobias Frank gemindert, der mir Geschichten über seinen Chefredakteur erzählte, einen ehemaligen Bundeswehroffizier mit Miniatur-Panzer auf dem Schreibtisch. Ohne Plateauschuhe war Frank auf höchstens eins siebzig geschrumpft. Mit seinen langen dünnen Armen, dem pockennarbigen Gesicht, den abstehenden Ohren und der Igelfrisur sah er einem Adonis so unähnlich wie möglich.
Auf der Fahrt nach Hiltrup hatten wir über Belanglosigkeiten geredet. Ich ließ ihn schmoren, der Anblick seines angespannten Gesichtes war eine kleine Entschädigung für seine Anwesenheit. Wir absolvierten kurz hintereinander zwei Saunagänge, tranken ein Kefir-Kirsch an der Bar und zogen uns dann in den Ruheraum zurück. Erst jetzt kam ich zur Sache.
»Ich war bei den Wiedertäufern.«
Er fuhr hoch: »Tatsächlich?«
»Ja. Drei Tage lang. Sie haben mich festgehalten.«
»Wieso denn?«
»Ich bin der Frau gefolgt, die das Geld abgeholt hat. Die erpresste Summe, verstehst du. Dann haben sie mich entdeckt und …«
»Unglaublich«, flüsterte er. »Warum ist davon nichts an die Öffentlichkeit gedrungen? Das ist doch die Geschichte. Mensch, du bist mein Aufmacher für die Ausgabe von übermorgen.«
»Du wusstest es nicht?«, fragte ich hinterhältig.
»Ich?« Eine leichte Unsicherheit flackerte in seinen Augen. »Warum sollte ich es
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