Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
»Da war ich schon ewig nicht mehr. Lass uns zum Venner Moor fahren.«
Vom Gallitzin war es nur eine knappe Autoviertelstunde bis zum Venner Moor. Und an diesem gewöhnlichen Wochentag stolperte man auch nicht ständig über spazierende Familien.
Wir gingen über eine schmale Landzunge, die zwei abgetorfte Becken, in denen sich Wasser sammelte, voneinander trennte. Das Moor unter uns ließ unsere Schritte federn.
Gabi sog die Luft tief ein. »Während des Studiums in Münster war ich oft hier. Meistens bin ich abends losgefahren. Dann war es so schön unheimlich. Die Bäume, die aus dem Wasser ragten, sahen aus wie Gespenster. Dazu das Geschrei der Käuzchen.«
»Wir waren auch mal zusammen hier«, erinnerte ich sie. »Damals war das Gespenst echt. Es hieß Heiko und lauerte uns auf.«
»Heiko.« Sie lachte. »Er war so fürchterlich eifersüchtig.«
»Das war er, keine Frage. Was ist eigentlich aus dir und ihm geworden?«
»Zwei Monate nach unserer Affäre habe ich mich von ihm getrennt. Es war nicht mehr auszuhalten mit ihm. Ich durfte auf der Straße keinen anderen Mann angucken, dann bekam er schon einen Anfall.«
»Du hättest wieder an meine Tür klopfen können.«
»Hätte ich. Aber irgendwie wart ihr beide für mich eine Einheit. Wenn ich bei dir gewesen wäre, hätte ich an ihn denken müssen.«
Manchmal ist die Sichtweise von Frauen wirklich seltsam.
Wir gingen eine Weile schweigend durch das sumpfige Gelände.
»Du wolltest mich etwas fragen«, sagte Gabi schließlich.
Ich vertrieb die Erinnerungen aus dem Arbeitsspeicher meines Gehirns und kam zum Geschäftlichen. »Poppelhove hat angedeutet, dass Mega Art in Schwierigkeiten steckt. Wie sieht es wirklich aus?«
»Grottenschlecht.« Gabi traktierte ein Stück Moos mit dem Schuh. Ich wartete.
»Wenn wir nicht bald neue Aufträge bekommen, ist die Firma am Ende und muss Konkurs anmelden. Noch schlimmer wäre es, wenn die aktuelle Produktion platzen würde. Wir könnten nicht mal die Hotelrechnung bezahlen.«
»Oder meine Gage.«
Sie lächelte bitter. »Weder deine Gage noch mein Gehalt. Jetzt weißt du, warum ich mir heute Nacht die Finger wund gewählt habe.«
»Immerhin mit Erfolg.«
»Ja. Oswald Meyer war der dreiundzwanzigste auf meiner Liste. Ich musste ihm versprechen, dass er bei unserem nächsten Fernsehspiel eine Hauptrolle bekommt. Und mindestens Gudrun Landgrebe als Partnerin.«
»Die Flambierte Frau «, reaktivierte ich verschüttete Kenntnisse der Filmgeschichte.
Gabi verzog einen Mundwinkel. »Sie ist inzwischen ein bisschen älter geworden. Aber immer noch gut.«
Ich kam aufs Thema zurück: »Poppelhove sagte, dass die falsch munitionierte Pistole nicht die erste Panne war.«
»Einer unserer Lkw ist in Flammen aufgegangen. Mitsamt dem darin verstauten Equipment.«
»Wie das?«
»Jemand hat einen Molli hineingeworfen. Finanziell kein Desaster. Unser Zeug ist hoch versichert. Aber es hat drei Tage gedauert, bis wir Ersatz herbeischaffen konnten.«
»Hat man den Täter erwischt?«
»Nein.«
»Und das Motiv?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Unbekannt.«
»Hat Poppelhove irgendwelche Feinde?«
Sie lachte. »Die klassische Detektivfrage. Jeder in dem Business hat Feinde. Wenn du keine Feinde hast, bist du ein Weichei, das von vorne bis hinten geschröpft wird.«
Ich schloss daraus, dass Poppelhove zu der harten Fraktion gehörte.
Gabi nickte. »Er hat Mega Art aufgebaut. Und er wird die Firma mit Zähnen und Klauen verteidigen. Sein Vater hat ihm ein bisschen was vererbt, und dann hat er sich mit Werbefilmen für die Industrie das nötige Kapital verschafft.«
Mir fiel ein, was sie mir über ihre Anfänge im Filmgeschäft erzählt hatte. »Es war Poppelhove, durch den du zu Mega Art gekommen bist, nicht wahr?«
Sie antwortete nicht, und das war auch eine Antwort.
»Habt ihr was miteinander?«
»Er ist verheiratet.«
»Na und?«
»Gut. Wenn du wissen willst, ob wir miteinander geschlafen haben: Ja, wir haben miteinander geschlafen. Aber ich bin nicht die einzige Nebenfrau. Ein Produzent hat beste Chancen, junge aufstrebende Schauspielerinnen in sein Bett zu locken.«
»Wie Katinka Muschwitz?«
Gabi verschluckte sich. »An die kommt er nicht ran. Die Muschwitz hält sich für eine Diva. Unter einem monegassischen Fürsten tut sie’s nicht.«
Irgendwie hatten wir den Faden verloren. Ich bemühte mich, ihn wieder zu knüpfen. »Wodurch genau ist Mega Art auf die finanzielle Schieflage geraten?«
»Wir haben
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