Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Polizei! Dann hat er sein blutiges Handwerk vollendet.«
Maria schüttelte erneut ihre Locken, anscheinend eine Angewohnheit von ihr. »Er ist so schrecklich kindisch«, sagte sie und stöckelte mit wiegenden Hüften davon. Altersmäßig hätte sie seine Tochter sein können.
Als sie unseren gemeinsamen bewundernden Blicken entschwunden war, wurde Becher plötzlich ernst. »Entschuldigen Sie das Schmierentheater. Ich mache das nur, damit Maria sich nicht aufregt.« Er winkte mich näher ran. »Ich habe gehört, dass Poppelhove Sie auf den Killer angesetzt hat. Schon was rausgekriegt?«
»Leider nein. Deshalb bin ich ja hier.«
Becher richtete sich auf. Das musste unter den gegebenen Umständen recht schmerzhaft sein, aber er ließ sich nichts anmerken. »Ich sage nur einen Namen: Rommersberger.«
Ich nickte. »Ich weiß. Maria war früher mit Charly verheiratet.«
»Nicht verheiratet.« Er schnaufte angewidert. »So weit hat sie es Gott sei Dank nicht kommen lassen. Aber sie hat sich ihm, aus einer Laune heraus, hingegeben. Bis sie mich kennenlernte. Rommersberger kann es zweifellos nicht verwinden, dass sie in mir sofort den größeren Künstler erkannte.«
Oder den größeren Geldsack, ergänzte ich gedanklich.
»Rommersberger ist Ihr Mann«, fuhr Becher fort. »Bleiben Sie an ihm dran!«
»Und der zweite Unfall? Wie passt der in Ihre Theorie?«
»Charly ist nicht blöd. Die meisten gehen ihm auf den Leim und halten ihn für harmlos, besonders, wenn er seine Alkoholiker-Masche abzieht. Aber wenn Sie an der Oberfläche kratzen, kommt ein kleines mieses Arschloch zum Vorschein. Das zweite Ding hat er nur inszeniert, um von dem ersten abzulenken. Bei den Kriminalen gibt’s dafür einen Begriff.«
»Deckungstat«, sagte ich. »Der Täter begeht ein zweites Verbrechen, um das erste zu vertuschen.«
»Richtig. Vergessen Sie den Stuntman! Fragen Sie sich, wer mir ans Leder will!«
Maria hatte nichts dagegen, mit mir einen Kaffee trinken zu gehen. Sie schien sogar recht froh über den Vorwand, das Händchenhalten mit ihrem großen Künstlergatten für eine Weile zu unterbrechen und dem Krankenhausmief zu entkommen.
Ich parkte auf dem Domplatz, und wir gingen durch die Fußgängerzone. Die für einen gewöhnlichen Werktag üblichen Wegelagerer waren alle versammelt: eine russische Kapelle, die melancholische Lieder schmetterte, ein paar Karrierespekulanten von der FDP, die hinter ihrem traurigen Stand über neue Zukunftspläne nachdachten, zwei gut frisierte Jünglinge in blauen Rollis und mit Namensschildern am Revers, die über die Vorzüge einer längst vergessenen Kirche sprechen wollten, ein Stelzengänger vor einem Kaufhaus, der Luftballons an Kinder verteilte, ein Team von Radio Münster, das eine Umfrage zum Thema »Wie halten die Münsteraner die Hitze aus?« machte, und am Ende schließlich die unvermeidlichen Marktforscher, die wissen wollten, warum man was, und wenn nicht, warum man es nicht gekauft habe.
Ich brachte Maria ins Alcatraz, wo wir in der hintersten Ecke noch ein freies Plätzchen fanden, und bei zwei Milchkaffees lenkte ich unser bis dahin zielloses Geplauder auf Charly Rommersberger.
»Charly«, seufzte sie, »ist eigentlich ein netter Kerl. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Kalli umbringen will. Okay, er ist damals ziemlich ausgerastet, als ich ihn wegen Kalli verlassen habe. Aber wer würde in einer solchen Situation nicht mit allem Möglichen drohen?«
»Ich«, sagte ich. »Und von dem Spruch, dass bellende Hunde nicht beißen, halte ich nicht mehr viel, seitdem ich während meines Studiums mal als Briefträger gejobbt habe.«
Mit gespreizten Fingern hob sie die Kaffeeschale hoch und blies dabei eine verwegene Locke aus der Stirn. »Ich will Charly wirklich nichts Böses ...«
Und doch liefert sie ihn jetzt ans Messer, dachte ich.
»Es war in der Zeit, als wir zusammenlebten. Charly konnte schrecklich eifersüchtig werden. Einmal hat mich ein alter Freund besucht, wirklich nur ein alter Freund. Wir haben zusammengehockt und uns die Weißt-du-noch-Geschichten erzählt. Es wurde spät, ich holte die zweite und dann die dritte Flasche Wein aus dem Keller. Und irgendwann schneite Charly herein. Ich hatte nicht mit ihm gerechnet. Er war auf einem versetzten Dreh und wollte eigentlich erst am nächsten Tag zurückkommen. Nicht, dass ich mich anders verhalten hätte, wenn ich gewusst hätte, dass er kommen würde. Zwischen mir und Tom war absolut nichts. Aber Charly dachte, er
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