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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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hätte uns erwischt. Wie ein wilder Stier ging er auf Tom los. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, ohne Erfolg. Tom war viel zu überrascht, um sich zu wehren.«
    Marias Augen schimmerten feucht.
    »Und dann?«, fragte ich.
    »Charly warf Tom die Treppe hinunter. Wir wohnten damals im ersten Stock. Tom brach sich zwei Rippen und das Handgelenk. Ich war stinksauer auf Charly, das können Sie sich ja vorstellen. Nachdem ich Tom im Krankenhaus abgeliefert hatte, zog ich in ein Hotel. Charly brauchte drei Tage, um mich ausfindig zu machen. Er entschuldigte sich tausendmal, und er meinte es wirklich ernst. Wie ich später erfuhr, hatte er sich auch schon bei Tom entschuldigt und ihm ein beträchtliches Schmerzensgeld geboten.
    Na ja, was soll ich sagen, ich bin wieder zu ihm gezogen. Trotzdem war es nicht mehr das Gleiche. In meinem Hinterkopf saß diese Angst, er könnte es noch einmal tun.«
    Die Schlussfolgerung hing unausgesprochen in der Luft, während wir grübelnd auf dem Tisch herumschauten.
    »Jetzt könnte ich einen Happen vertragen«, sagte ich, um dem Gespräch eine erfreulichere Richtung zu geben.
    Maria wunderte sich darüber, dass das Kalbsragout, das ich bestellte, auf den Namen Carlo Ponti hörte.
    »Norbert, der Wirt, benennt seine Gerichte nach stadtbekannten Persönlichkeiten«, erklärte ich. »Ich warte nur darauf, dass es bald auch ein Lammkotelett Georg Wilsberg gibt.«

X
    Nach einem Zwischenstopp in meiner Mansardenwohnung ging ich am Abend in Berg Fidel auf die Pirsch. Diesmal hatte ich einen Satz Dietriche dabei, nur für den Fall, dass es Yvonne erneut zu Graulockes Sündenpfuhl trieb.
    Nach einer Weile verließ ich meine unklimatisierte Ente und wanderte auf dem Bürgersteig auf und ab. Ich stellte mir die Frage, ob ich nicht etwas Wichtigeres zu tun hätte. Und dann stellte ich mir die Frage, ob Psychologen mein Verhalten als Vermeidungsstrategie bezeichnen würden. Sollte ich nicht im Gallitzin sein und die Untersuchung vorantreiben, anstatt hier herumzulungern? Mich nebenbei mit Gabi aussprechen und Poppelhove dazu auffordern, auf den Boden einer sachlich fairen Geschäftsbeziehung zurückzukehren? Die andere und schönere Möglichkeit, etwas Gras über die Sache wachsen zu lassen, bot sich leider nicht. Am nächsten Morgen würde ich wieder vor der Kamera agieren müssen, als selbstbewusster und forscher Privatdetektiv Georg Wilsberg. Es sei denn ...
    Yvonne Reichardt riss mich aus meinen Gedankengängen. In ihrem Health Center -Outfit (Ballonseidenanzug, Turnschuhe) joggte sie die Treppe hinunter, während hinter ihr eine ältere Frau (Yvonnes Mutter?) und die beiden Kinder sichtbar wurden. Ein allgemeines Gewinke setzte ein, und ich machte die Ente startklar.
    Der Trainingsanzug war reine Mimikry. Tatsächlich hatte Yvonne nicht die leiseste Absicht, ihren Körper mit Aerobic oder anderem Unfug zu schinden. Sie nahm geradewegs Kurs auf Sankt Mauritz und Graulockes Villa, und ich summte vergnügt ein Lied dazu.
    Ich gab ihnen genügend Zeit, um sich aller Trainingsanzüge und sonstiger Kleidung zu entledigen. Dann schlich ich um das Haus herum und probierte die Dietriche aus. Beim sechsten hatte ich Glück. Mit Unterstützung meiner kleinen Taschenlampe mäanderte ich durch die finsteren Kellergefilde und eine Treppe hinauf, bis ich vor der nächsten Tür stand. Eine der unverschlossenen Art, wie ich zu meiner größten Befriedigung feststellte.
    Andererseits gab es in der hell erleuchteten Diele keine Deckung mehr. Die Devise lautete jetzt: alles oder nichts. Wobei nichts im günstigsten Fall eine Anzeige wegen Einbruch und Hausfriedensbruch bedeutete.
    Ich lauschte. Irgendwo im Erdgeschoss lief eine Schmuserock-CD, wie man sie auflegt, wenn man die Stille übertönen will. Schritt für Schritt bewegte ich mich auf die Geräuschquelle zu. Sie kam aus einer bogenförmigen Öffnung, hinter der ein riesiges Wohnzimmer lag. Eine Polster- und Bücherwandlandschaft, komplett mit Glasfront, Kamin und kopulierendem Paar. Leider das falsche. Das Tier mit den zwei Rücken auf dem niedrigen japanischen Tisch bestand aus Isabell und Graulocke. Wo war Yvonne?
    Oben, lautete die einzig logische Antwort, denn im Erdgeschoss gab es außer der Diele und dem Wohnzimmer nur noch eine Küche und eine Toilette, wie ich nach oberflächlicher Inspektion feststellte.
    Also huschte ich einfach an der Bogenöffnung vorbei und stieg im Zeitlupentempo die Treppe hinauf. Auf dem oberen Treppenabsatz angekommen, hörte

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