Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
näherten. An einem normalen Morgen hätte man die fünfzehn Häuser nach ein paar Sekunden Autofahrt schon wieder hinter sich gelassen, doch an diesem Freitagmorgen war nichts wie sonst. Parkende Autos säumten die Straße, und der Parkplatz des einzigen Gasthofes, der sein Hauptgeschäft offenbar mit sonntäglichen Ausflugsgästen machte, war restlos überfüllt. Ein Polizist, der den Dienstwagen der Kämmerin erkannte, winkte uns zu einer reservierten Parkbucht. Neben uns standen etliche Nobelkarossen mit Essener Kennzeichen.
»Manager von Global Artists Deutschland «, sagte die Kämmerin, als wir ausstiegen. »Die wollen heute Flagge zeigen.«
Ein Transparent, aufgehängt zwischen zwei Bäumen auf dem Parkplatz, hielt dagegen: Kein Hollywood in Kappenstein!
Zwei Hostessen in rot-weißen Unformen flankierten die Treppe, die zum Eingang des Gasthofes hinaufführte, und verteilten Prospekte. Ich ließ mir eines geben, was die Hostess zu einem überschwänglichen Dank für mein Interesse bewegte. Auf dem Deckblatt des Prospekts tummelten sich bunte Zeichentrickfiguren und bekannte Filmstars in einem Vergnügungspark. Darüber stand: » Global World . Die Welt der Zukunft.«
Im großen Saal der Wirtschaft brodelte die Volksseele und sonderte giftige Nikotinschwaden ab. Wir bahnten uns einen Weg durch die Menge und kamen an vielen jungen Menschen in Lederjacken, Latzhosen und gestreiften Sweatshirts vorbei. Gegenüber den angereisten Umweltaktivisten waren die eingeborenen Kappensteiner wohl in der Minderheit. Ein ebenfalls anwesendes Team des Regionalfernsehens tauchte die Szenerie in kaltes Scheinwerferlicht.
An der holzvertäfelten Stirnseite des Saales war eine Art Podium mit Mikrofonen aufgebaut. Dahinter scherzte die Oberbürgermeisterin mit zwei Anzugträgern. Der elegantere von ihnen, ein Mann in stahlblauem Maßanzug und mit buntem Schlips, trug ein rotgoldenes Global Artists -Abzeichen, den anderen konnte ich nicht einordnen. Nach seinem grauen Anzug und dem Dackelblick zu urteilen, vertrat er die CDU.
Während die Kämmerin die Oberbürgermeisterin und die beiden Männer begrüßte, stellte ich mich an die Seitenwand. Von hier aus hatte ich sowohl das Podium als auch das Publikum gut im Blick, obwohl ich nicht glaubte, dass ich meine leibwächterischen Fähigkeiten unter Beweis stellen musste.
Dann eröffnete die Oberbürgermeisterin die Versammlung. Sie machte das recht geschickt, indem sie die Besorgnis der Kappensteiner berechtigt nannte und versicherte, dass man nichts über ihre Köpfe hinweg entscheiden werde. Anschließend stellte sie die übrigen Podiumsteilnehmer vor. Der blaue Anzug erwies sich als Richard Steffenhagen, Planungs- und Investment-Manager von Global Artists Deutschland , der graue als Kurt Kentrup, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im münsterschen Stadtrat. Auch Heiner Kleine-Langen, der bislang mit einigen Leuten im Saal diskutiert hatte, schwang sich jetzt hinter ein Mikrofon.
Steffenhagen bekam als Erster das Wort erteilt, was vom Publikum mit einigen Übungs-Buhrufen quittiert wurde. Der Global Artists -Manager beteuerte artig, dass er von der Schönheit der Landschaft im Norden Münsters überrascht gewesen sei. »Sie haben hier wirklich eine Idylle«, heuchelte er Begeisterung, »und ich verstehe, dass Sie diese Idylle erhalten wollen.«
Höhnischer Beifall der Zuhörer. Unbeirrt lächelnd fuhr Steffenhagen fort: »Wir werden alles daransetzen, Sie so wenig wie möglich zu belästigen. Ich glaube allerdings, dass ein Großteil des Unbehagens und der Skepsis gegenüber der geplanten Global World auf Missverständnissen beruht. Ich lade Sie schon jetzt auf unsere Kosten zu einem Besuch der Global World in Essen ein, die am nächsten Montag eröffnet wird.«
»Darauf können wir verzichten«, rief ein Mann.
»Nur die, die wollen, natürlich«, lächelte Steffenhagen. »Doch lassen Sie mich vorab skizzieren, was Global World eigentlich ist. In Münster gibt es, wie ich hörte, den Send, ein mehrmals im Jahr stattfindendes Volksfest vor dem Schloss. Global World hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Send, oder der Kirmes, wie wir im Ruhrgebiet sagen. Auch bei Global World erlebt man simulierte und echte Abenteuer zu Wasser, auf dem Land und in der Luft, Fahrten auf Wasserkanälen, Geister- und Achterbahnen, Erlebniswelten für die Kleinen und Nervenkitzel für die Großen. Nur«, der Manager machte eine Pause, » Global World ist mehr. Alles dreht sich um
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