Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
Miniaturstadt, und in verschiedenen Volieren piepste und kreischte Federvieh in allen Farben und Größen. Sarah vergaß ihren Frust, zeigte auf einen Vogel nach dem anderen, verbunden mit der gleichlautenden Frage: »Was ist das?«
Ich versuchte, zu jedem Federträger den entsprechenden Namen zu nennen, aber Biologie war eines meiner schwächeren Schulfächer gewesen.
Dann setzten wir uns an einen Tisch auf der Terrasse. Es war ein schöner Herbstsonntag, die Sonne brachte die Luft noch einmal auf eine angenehme Temperatur, und die Münsteraner taten das, was sie sowieso am liebsten tun: Sie fuhren Fahrrad. Einzeln, zu zweit oder in ganzen Pulks zogen Fahrradfahrer an uns vorbei.
Nach und nach füllte sich die Terrasse mit Ausflugsgästen, die ihre todschicken Tausend-Mark-Räder mit dazu passender Kleidung einer breiteren Öffentlichkeit vorführen wollten.
Eine stämmige Kellnerin brachte Eis für Sarah und einen Apfelkuchen mit Kaffee für mich. Anschließend nieste ich dreimal.
»Papa krank?«, fragte Sarah.
»Ja. Ich bin nachts draußen herumgelaufen. Das hätte ich nicht tun sollen.«
»Chris auch krank.«
»Wer ist Chris?«
»Der andere Papa, Freund von Mama.«
»Ist er schon lange ihr Freund?«
»Weiß nicht.« Sie überlegte angestrengt. »Übergestern war er schon da.«
»Das heißt vorgestern.«
Wir aßen ein Weile schweigend. Als ich merkte, dass Sarah die Lust am Eis verlor, fragte ich: »Möchtest du jetzt auf den Spielplatz?«
Sie nickte.
Während ich bezahlte, erkundigte ich mich bei der Kellnerin beiläufig nach ihrer Meinung über den geplanten Vergnügungspark.
»Eine Schande ist das.« Sie stemmte ihre Fäuste in die breiten Hüften. »Uns so was vor die Nase zu setzen. Da drüben soll er hin.« Sie nickte in Richtung einer Wallhecke, die den Blick auf die Weite der Landschaft verhinderte.
»Aber es wäre doch gut fürs Geschäft?«
»Darauf können wir verzichten. Die reißen sich doch alles selber unter den Nagel, diese amerikanischen Gangster. Verkaufen Popcorn und Hamburger und all den Mist. Nein, da haben wir gar nichts von. Soll ich Ihnen sagen, was die Leute hier über den Stadtrat denken? Keine Stimme würden CDU und SPD kriegen, wenn morgen Wahlen wären.«
»Nur leider sind morgen keine Wahlen.«
»Das haben die sich fein ausgerechnet. Und es würde ja sowieso nicht viel nutzen. Kappenstein ist viel zu klein. Aber wir haben eine Bürgerinitiative gegründet. Und wir werden denen noch mächtig Ärger machen.«
»Ärger?«, wiederholte ich. »Was meinen Sie damit?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ärger eben. Was weiß ich? Wir werden uns schon was einfallen lassen.«
»Wie weit würde das gehen? Glauben Sie, dass es in Kappenstein jemanden gibt, der bereit ist, nun, sagen wir mal, gewaltsame Mittel anzuwenden?«
»Vielleicht.« Sie wurde misstrauisch. »He! Wollen Sie mich aushorchen oder was?«
»Finden Sie es nicht merkwürdig, dass drei Kommunalpolitiker ermordet worden sind?«
Sie riss ihre Augen weit auf. »Das habe ich gelesen, aber …«
»Papa!«, sagte Sarah.
»Und alle drei waren für das Kappenstein-Projekt.«
»Und was haben wir damit …«
»Papa!«, krähte Sarah und schlug mit den Fäusten auf den Tisch.
Ich startete einen Überraschungsangriff. »Wen im Dorf halten Sie für fähig, so etwas zu tun?«
»Sie spinnen wohl?« Die Kellnerin drehte sich um und stampfte empört davon.
»Ja, bitte, mein Schatz?«, wandte ich mich an Sarah.
»Spielen.«
Sarah rutschte juchzend im Sand herum. Ab und zu strahlte sie mich an, und ich antwortete mit einem wohlwollenden väterlichen Lächeln. Eine breite Gestalt in Stoffhosen und eierschalenfarbenem Blouson schob sich neben mich.
»Elsi hat mit mir gesprochen«, sagte er.
»Ach ja?« Ich paffte eine Zigarillowolke in die Luft.
»Sind Sie Polizist?«
»Nein.«
»Schreiberling?«
»Auch nicht.«
»Ich habe Sie am Freitagmorgen gesehen. Ich bin Tönne Mesenkamp, Vorsitzender der Bürgerinitiative Kein Hollywood in Kappenstein! «
»Ich weiß.«
»Wenn Sie weder Polizist noch Journalist sind, warum kommen Sie dann her und stellen solche Fragen?«
Ich schaute ihm in die Augen. »Ich versuche das Leben von jemandem zu beschützen, der auch ermordet werden könnte.«
Er wich meinem Blick nicht aus. »Und Sie glauben, dass der Mörder einer von uns sein könnte?«
»Wäre doch möglich, oder?«
»Nein.« Seine Stimme klang wütend. »Das ist nicht möglich.«
»Kennen Sie Ihre Mitbürger so
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