Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
zurückgeben?«
Stürzenbecher griff in eine Schreibtischschublade und reichte mir den Totmacher. »Pass bloß auf, dass du nicht den Falschen erschießt!«
»Wäre mir Freitagnacht fast passiert. Zum Glück hattest du mir das Ding vorher abgenommen.«
Er guckte mich genervt an. »Darüber macht man keine Scherze, Wilsberg!«
»Wem sagst du das?«
Die eigentliche Eröffnung der Global World in Essen fand erst am nächsten Tag statt. Die heutige Premiere war ausschließlich für geladene Gäste: Journalisten vor allem, die kostenlose Werbung machen sollten, aber auch Politiker, Wirtschaftsbosse, Schauspieler, Schöne, Reiche und Prominente oder solche, die sich dafür hielten. Von Münster aus, das der Global Artists -Konzern schon deswegen für wichtig hielt, weil hier die nächste Global World gebaut werden sollte, fuhr eine gut zwanzigköpfige Delegation, angeführt von der Oberbürgermeisterin, nach Essen. Neben der Stadtkämmerin und einiger ihrer Dezernentenkollegen waren Mitglieder aller Ratsfraktionen sowie die Chefredakteure der lokalen Tageszeitungen und Radiosender vertreten. Conny Guttweller winkte mir zu, außerdem erkannte ich Heiner Kleine-Langen von den Grünen und den blassen CDU-Mann Kurt Kentrup.
Der Ausflug wurde von Global Artists bezahlt, und die Vergnügungsparkmanager hatten es sich nicht nehmen lassen, uns so ziemlich das Luxuriöseste zu bieten, was nach dem Orient Express auf Rädern rollte. Abgeschirmt von störenden Außengeräuschen saßen wir hinter getönten Fenstern an kleinen Tischchen, während sich drei rot-weiß gekleidete Hostessen um unser leibliches Wohl sorgten. Den Ton zu dem Werbefilm, der über unseren Köpfen ablief, musste man nur dann über sich ergehen lassen, wenn man sich Kopfhörer überstülpte. Was ich tunlichst unterließ.
Ich hatte mich zwei Reihen hinter der Kämmerin platziert, um sie gut im Blick zu haben, und war etwas überrascht, als sich ausgerechnet Heiner Kleine-Langen neben mich setzte. Mit angeekeltem Gesichtsausdruck wies er alle Versuche der Hostessen, ihm Sekt, Kaffee oder Lachsschnittchen aufzudrängen, zurück. Ich war da nicht so pingelig.
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander, ich kauend, er aus dem Fenster guckend. Schließlich wandte er sich mir zu: »Entschuldigen Sie, dass ich Sie so direkt frage: Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Wilsberg, Georg Wilsberg.«
»Ich habe Sie in den letzten Tagen so oft gesehen, dass ich nicht an einen Zufall glaube. Sie waren auf unserer Parteiversammlung, in Kappenstein, und jetzt sitzen Sie hier im Bus.«
»Es ist kein Zufall«, bestätigte ich.
»Arbeiten Sie für Global Artists ?«
»Nein. Ich bin Privatdetektiv.«
»Das muss sich nicht ausschließen«, sagte er humorlos. »Ich traue diesem Konzern alles zu. Auch, einen agent provocateur bei uns einzuschleusen. Verstehen Sie mich nicht falsch! Einige unserer Mitglieder sind ermordet worden. Da sieht man vielleicht Gespenster, wo gar keine sind. Und wenn dann plötzlich jemand auftaucht und ständig präsent ist, den man vorher noch nie gesehen hat …«
»Ich lebe seit zwanzig Jahren in Münster.«
»Wer hat Sie engagiert?«
»Ich unterliege der Schweigepflicht, so wie Ärzte, Anwälte …«
»Die Rausch?«
»Kein Kommentar.«
Er nickte. »Ich habe ja eine eigene Theorie über die Morde. Dummerweise will die Polizei sie nicht hören.«
»Ich höre Ihnen gern zu«, sagte ich.
»Rechtsradikale, Neonazis. Auf dem Auge ist die Polizei blind. Der Leiter der Sonderkommission, dieser LKA-Oberrat Lewandowski, ist selbst eine rechte Socke. Ich habe mir von unserer Landtagsfraktion Informationen über ihn geholt. In Köln hat er praktisch zugesehen, wie Neonazis mithilfe von rechten Türken einen groß angelegten Waffendeal getätigt haben. Hinterher hat er behauptet, dass er seine V-Leute in der Szene schützen wollte. Eine faule Ausrede.«
»Und wo ist die Verbindung zum Kappenstein-Projekt?«
»Wer sagt denn, dass es eine solche Verbindung gibt?« Kleine-Langen wurde energisch. »Lewandowski redet den Medien ein, dass Holthausen, Hennekamp und Dietzelbach von Linksradikalen umgebracht wurden. Einen Beweis hat er dafür noch nicht vorgelegt.«
»Aber es ist doch auffällig, dass alle drei Befürworter des Kappenstein-Projekts waren.« Und dass sie mit vergoldeten Fingerkuppen gefunden wurden, fügte ich gedanklich hinzu.
»Na und? Es ist ein Gerücht, dass Rechtsradikale denken. Die meisten Neonazis sind tumb wie ein Haufen
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